Die Mutter
Sie fragte nicht besonders oft nach ihm, und wenn, dann wollte sie meist nur Kleinigkeiten wissen: Wie sah er aus? Mochte er Schokolade und hasste Rosenkohl, so wie sie?
Rebecca interessierte sich, anders als ich damals, nicht für düstere Bücher und Filme. Sie bevorzugte Enid Blyton, Roald Dahl und, als sie ein wenig älter wurde, Judy Blume, John Marsden und Emily Rodda; ihre Lieblingsfilme waren Grease, Dirty Dancing und Forrest Gump. Sie las gerne, wenn auch nicht so gerne wie ich, aber sie hatte ja, im Gegensatz zu mir, auch nicht die Zeit, so viel zu lesen. Sie war zu sehr damit beschäftigt, mit ihren Freunden zu spielen oder Sport zu treiben, was sie besonders liebte - besonders Basketball und Schwimmen.
Ich ging fast jeden Samstag mit ihr ins Schwimmbad und sah ihr stundenlang beim Schwimmen oder - wenn ihre Freunde dabei waren - beim Herumtoben zu. Ein Talent für Musik hatte sie auch - sie bekam Klavierunterricht, als sie zehn war, und machte schnell Fortschritte.
Das Einzige, worunter sie litt, waren Albträume. Es war nicht ungewöhnlich, dass ich mitten in der Nacht aufwachte, weil sie schrie. Normalerweise erinnerte sie sich nicht an ihre Träume, und sie schienen ihr auch nicht zu schaden - sie waren einfach ein Teil ihres Lebens.
Wir zogen aus Footscray weg, als Rebecca die Grundschule beendete. In einem McDonald's in der Nähe von Clayton war eine Stelle als Filialleiterin frei geworden, und so zogen wir genau auf die gegenüberliegende Seite von Melbourne in ein nettes Haus in einer viel freundlicheren Gegend als alle, in denen wir bislang gelebt hatten.
Es war ein großer Schritt für uns beide. Wir wohnten nicht nur in einer anderen Gegend als die, in der Rebecca aufgewachsen war, ich hatte es auch geschafft, durch harte Arbeit eine leitende Position in einem riesigen Unternehmen zu bekommen. Das war ein kleiner Sieg für mich; er bedeutete mehr Druck, aber auch mehr Geld.
Rebecca gewöhnte sich schnell an das Leben auf der Highschool - nicht, dass ich mir je wirklich Sorgen deswegen gemacht hätte. Abgesehen von der Tatsache, dass sie zu einem außergewöhnlich hübschen Teenager heranwuchs (ein Vorteil in der Highschool, so oberflächlich diese Realität auch sein mochte), war sie ein freundlicher, aufrichtiger Mensch. Sie war fürsorglich und klug. Ihr einziger echter Fehler, wenn man es denn so nennen konnte, war, dass sie den Menschen gegenüber zu vertrauensselig war. Sie glaubte, jeder habe ein Herz aus Gold, selbst die, die schlimme Dinge taten, waren laut Rebecca in ihrem tiefsten Inneren nette Menschen - sie trugen nur zu viel negative Energie in sich.
Ich sagte ihr oft, sie würde einen tollen Hippie abgeben und sei etwa vierzig Jahre zu spät geboren. Ihre positive Sicht auf das Leben, besonders in Bezug auf ihre Mitmenschen, machte es mir umso schwerer, ihr die Wahrheit über ihren Dad zu erzählen. Viele Male war ich kurz davor. Ich redete mir ein, es sei der richtige Zeitpunkt und sie sei reif genug. Aber dann dachte ich jedes Mal wieder daran, wie der Scheißkerl mich verprügelt hatte, als er erfuhr, dass ich schwanger war, und wenn ich dann in Rebeccas liebes Gesicht sah, konnte ich ihr einfach nicht erzählen, dass sie von so einem Mann abstammte.
Ich fragte mich, ob sie immer noch der Ansicht wäre, alle
Menschen seien an sich gut, selbst wenn sie Böses taten, wenn sie erst einmal erfuhr, wie ihr feiner Dad mich behandelt hatte.
Während Rebeccas gesamter Highschoolzeit verstanden wir uns wunderbar. Wir waren eher Schwestern als Mutter und Tochter. Natürlich stritten wir uns auch - meist über typische Teenagerthemen wie Privatsphäre, Ausgehen, Alkohol und Sex (ich verbot ihr, welchen zu haben, bevor sie dreißig war. Dann lachte sie nur und sagte mir, ich solle mich entspannen). Diese Fragen schienen zu der Zeit wichtig zu sein, aber im Nachhinein kommen sie mir so klein, ja sogar, ich sage einfach mal: altmodisch vor.
Ich würde alles dafür geben, noch einmal durch diese frühen Teenagerjahre zu gehen, wenn ich dafür Rebecca zurückbekommen könnte.
Aber das wird nicht passieren. Alles, was ich habe, sind meine Erinnerungen, und an denen muss ich festhalten; einige von ihnen sind zu persönlich, andere einfach zu schmerzlich, um sie niederzuschreiben - diese behalte ich für mich.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich diesen Brief schreibe - damit mein Leben dokumentiert ist, falls ...
Aber wie dem auch sei, ich muss es nicht aufschreiben, um mich an
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