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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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verraten?«
    Balthasar blickte auf. Starrte ihn zornig an.
    »Ich habe kaum je an ihn gedacht.«
    Er lügt. Er will, dass ich das glaube. Aber kein Mensch ist derart herzlos.
    »Ich habe meinen Vater nicht sonderlich gemocht«, sagte der Admiral. »Doch vor seinem Tod gab er mir einen Rat. Den einzigen, der je etwas in meinem Leben verändert hat. ›Umarme deine Kinder‹, sagte er. ›Küsse deine Mutter und deinen Vater, deine Brüder und Schwestern. Sag ihnen, wie sehr du sie liebst, jeden Tag. Denn jeder Tag ist der letzte. Jedes Licht wirft einen Schatten. Und nur die Götter wissen, wann die Dunkelheit uns finden wird.‹«
    Der Admiral drehte sich um und nahm eine Orangenscheibe von dem Servierteller. Er lutschte daran, genoss den Geschmack und die Feuchtigkeit, bis nichts mehr übrig war. Während er dies tat, traf Balthasar eine Entscheidung.
    Ich werde herausfinden, was als Nächstes kommt.
    Blut sickerte Balthasars Handgelenke hinab, als er mit aller Kraft an dem Seil zog, an dem Holzbalken, an dem es festgebunden war. Der Balken ächzte unter dem Druck, und der Admiral wandte sich um. Er blickte zu dem Balken hoch – so robust, wie ein Balken nur sein konnte. Sein Blick wanderte hinunter zu Balthasar, der mit seinem letzten bisschen Kraft daran zog. Es konnte nicht funktionieren. Es war unmöglich, dass sich ein Mann unter diesen Bedingungen befreien konnte. Zufrieden richtete der Admiral seine Gedanken wieder auf die Orangenscheibe in seinem Mund.
    Der Magier griff sich an den Kopf und schoss von seinem Sofa im Thronsaal senkrecht in die Höhe, wobei er seinen Becher umstieß. Etwas lief schrecklich schief.
    »Was ist los?«, fragte Herodes, der von seinem Thron aufstand. Als Herodes die Worte ausgesprochen hatte, war der Magier bereits auf den Beinen, stieß Kurtisanen und Berater beiseite und suchte etwas. Irgendetwas . Als Herodes begriff, was er da tat, rief er: »Bringt ihm etwas zu schreiben, sofort!«
    Beflissene Berater drückten dem Magier rasch ein Stück Pergament in die Hände. Herodes durchquerte den Thronsaal und sah dem kleinen Priester über die Schulter, las jeden einzelnen Buchstaben mit:
    Gefangener ist frei. Geist vo…
    »Unmöglich!«, rief Herodes. »Er steht unter Bewachung!«
    Der Magier kritzelte hastig von Neuem und schob das Blatt dann Herodes so dicht vor die königliche Nase, dass er sie ihm beinahe gebrochen hätte.
    Wachen tot. Alle tot.
    Balthasar ist wiedergeboren. Er ist Samson, der ein ganzes Heer mit einem Unterkieferknochen erschlägt. Er ist Herkules, der den nemeischen Löwen umbringt. David, der Goliath tötet. Er zieht mit seinen Armen, bis sie zittern, zieht an den Seilen, mit denen seine beiden Handgelenke an den Holzbalken über ihm gefesselt sind. Und hört jetzt das Geräusch berstenden Holzes.
    Dem Admiral quellen beinahe die Augen aus dem Kopf, weil er nicht glauben kann, was er sieht. Das ist unmöglich. Ein Mann kann nicht so stark sein, besonders einer, dessen Körper derart zerschunden ist. Und dennoch zersplittert der Balken, bricht dann entzwei und fällt mit einem Krachen auf den steinernen Boden, sodass Balthasars Hände frei sind.
    Die Wachen zücken die Schwerter und stürzen auf ihn zu. Balthasar geht ebenfalls zum Angriff über. Er läuft zu dem Tisch an der Wand – dem mit einer Auswahl an Skalpellen und Klammern und Scheren. Er greift sich das erste Skalpell, das seine Finger berühren, nicht ahnend, dass es genau das Skalpell ist, mit dem man ihm das Fleisch unter seinen beiden Armen weggeschnitten hat. Immer noch mit langen Seilen an den Handgelenken, dreht Balthasar sich um und schwingt die Klinge gerade noch rechtzeitig vor sich.
    Und so schwach und zerschunden er auch ist, sticht er doch mit mehr Kraft zu als je zuvor. Seine Klinge zerteilt die Tropfen aus Regenwasser, die von der steinernen Decke fallen, während sie den ersten Wachtposten seitlich am Gesicht trifft – und ihn häutet, wie Balthasar selbst gehäutet wurde. Er trifft den anderen unter der Achsel, sticht tiefer zu – tiefer an seinen Rippen vorbei und in seine Lunge. Er zieht das Skalpell heraus, und der Mann fällt auf den nassen Boden, wo er entweder binnen Sekunden in seinem eigenen Blut ersäuft oder in den nächsten Wochen an einer Blutvergiftung sterben wird. Es ist gleichgültig, solange er die Welt nur unter Schmerzen verlässt.
    Doch keine Zeit für solche Gedanken. Noch nicht. Denn dem Admiral ist gerade klar geworden, dass er als Nächstes an der Reihe

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