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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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das große Abenteuer ihres Lebens betrachtet hatten. In jenen vierundsechzig Jahren war das Leben an sich das große Abenteuer geworden, ihr Glück das Wunder.
    Sela und er hatten sich ein Zuhause in der größten Stadt der Welt geschaffen, mitten im Herzen des Kaiserreiches, das sie einst mit allen Mitteln verfolgt hatte. Eine Stadt, in der es reichlich Taschen gab, die sich leeren ließen, und Hände, in denen man lesen konnte, obwohl sie diesen alten Versuchungen widerstanden und stattdessen eine Herberge führten – mit der eisernen Regel, absolut niemals ein Paar wegzuschicken, das ein Kind erwartete, ganz egal, wie überbelegt ihr Gasthaus auch sein mochte. Sie hatten römische Kaiser kommen und gehen sehen, hatten miterlebt, wie ihre Kinder heranwuchsen und eigene Kinder hatten. Der alte Mann in dem Traum hatte recht , dachte Balthasar oft. Er war reicher geworden, als Herodes oder Augustus es sich hätten vorstellen können.
    Und als es so weit war, war Sela friedlich entschlafen. Im Gegensatz zu Herodes dem Großen, der vor langer Zeit einem langsam fortschreitenden und schmerzhaften Wahnsinn zum Opfer gefallen war, der ihm noch das letzte bisschen Würde geraubt hatte, bevor der Tod ihn endlich erlöste.
    Balthasar trauerte leise um seine Frau. Seine Kinder und Enkel befanden sich an seiner Seite. Und als die Nacht hereinbrach und alle nach Hause zurückkehrten, um ihn seinem Kummer zu überlassen, zog sich der Mann, den man einst den Geist von Antiochia genannt hatte, dunkle Kleider an und entschlüpfte, seinem alten Spitznamen gemäß, in die Nacht. Er schob einen kleinen Wagen durch die Stadt und brach in eine leer stehende Villa inmitten der dicht aneinandergedrängten Häuser der Reichen ein. Er sammelte so viel Brennholz, wie er innerhalb der Mauern der Villa auftreiben konnte, und schichtete einen einfachen Scheiterhaufen auf – nicht im Hof des Hauses, sondern um den Holztisch im Esszimmer. Als er fertig war, holte er Selas Leiche von dem Wagen, wusch sie und zog ihr weiße Gewänder an, wie es Brauch war. Mühsam legte er sie auf den Scheiterhaufen und verschüttete Lampenöl um den Fuß des Holzstapels.
    Bevor Balthasar das Öl entzündete, betete er still für ihre Seele, beugte sich vor und küsste ihre Stirn. Dann öffnete er eine geballte Faust, sodass etwas Glänzendes und Goldenes auf seiner Handfläche zum Vorschein kam.
    Ein Anhänger.
    Der Anhänger, den er so lange getragen hatte. Er legte ihn behutsam in ihre Hände. Die kalten, faltigen Hände einer Frau, die vor langer Zeit in einem goldenen und ewigen Land geschworen hatte, dass sie ganz Rom niederbrennen würde.
    Und hier war es nun … und brannte.
    Balthasar sah von dem Hügel aus zu, das Gesicht tränenverschmiert. Er war so alt, doch so rüstig und gesund für sein Alter, dass es kaum mit rechten Dingen zuzugehen schien. Sela hatte immer gesagt, seine Gesundheit sei ein Geschenk Gottes, eine Belohnung für all das Leid, das er ertragen hatte. Vielleicht war es so. Oder vielleicht hatte er bloß Glück, auch wenn er Zweifel daran hegte, dass es so etwas wie Glück gab.
    Er wusste nur, dass er nicht mehr ganz der Alte gewesen war nach jenen beiden Wochen. Seitdem er jenes Baby an der Brust gehalten hatte. Damals war da ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, das ihn nie verlassen hatte, eine Energie, wie die Spannung in der Luft vor einem Blitzeinschlag.
    Als seine Jungen noch klein waren, führte er sie die Kolonnadenstraßen Roms auf und ab und blieb stehen, damit sie sich Musikanten ansehen oder die seltsamen Tiere streicheln konnten, die von jenseits des Himalaja kamen. Ab und an leistete er sich sogar eine Handvoll Zimtdatteln, die sie sich teilten. An manchen Nachmittagen suchten sie Schatten am Ufer des Tiber. Und während seine Söhne – von denen er den Ältesten Abdi genannt hatte – ein Nickerchen machten, saß Balthasar dann da und sah den Männern beim Angeln zu, bis er selbst eindöste. Manchmal träumte er von jenen beiden Wochen, von den anderen Flüchtlingen und der Reise, die an der Küste Ägyptens endete.
    Balthasar hatte Maria und Josef nie wieder gesehen, doch er hatte sie in den folgenden Jahren tief in seiner Seele gespürt. Als ihn die Nachricht von der Verhaftung und Kreuzigung ihres Sohnes aus Jerusalem erreichte, hatte er geweint. Nicht etwa, weil er ein Anhänger der Lehren des Mannes gewesen wäre – oder auch nur gewusst hätte, worin diese Lehren bestanden –, sondern weil er ihn als Baby

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