Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Lippen hervorlugten. Er hatte natürlich recht gehabt. Es gab nur eines, was die Leute noch mehr liebten als einen Geächteten: zu sehen, wie er bestraft wurde.
Tausende hatten sich eingefunden, um den Tod des Geistes von Antiochia mit anzusehen. Trotz der Befürchtungen der königlichen Berater gab es keine Krawalle oder Forderungen nach seiner Freilassung, kein Geheul auf den Straßen von Jerusalem über sein unmittelbar bevorstehendes Ableben. Da war nur ein Meer von Menschen, die ungeduldig auf dem Platz vor dem Nordtor des Palastes warteten, alle um eine kleine hölzerne Tribüne gedrängt, die man in der Mitte errichtet hatte. Ein Meer von Menschen, die ungeduldig darauf warteten, einen Blick auf eine kleine Legende zu erhaschen. Genauer gesagt, einen Blick auf deren Blut.
Herodes stand hoch über ihnen im Turm von Mariamne und beobachtete das Spektakel durch ein schmales Fenster, wobei er sorgfältig darauf achtete, sein krankes Gesicht zu verbergen. Seine Soldaten hatten den ganzen Tag damit verbracht, jeden Quadratzentimeter von Jerusalem abzulaufen, von den ärmsten Vororten bis hin zu den Säulenhallen des großen Tempels, und die Kunde in Umlauf zu bringen, dass der berüchtigte Mörder – der Dämon, der als »Geist von Antiochia« bekannt war – bei Sonnenuntergang vor dem Palast hingerichtet werden würde. Überall in der Stadt hatten Händler frühzeitig Ladenschluss gemacht. Propheten hatten ihre Straßenpredigten am Nachmittag abgesagt. Erschöpfte Reisende hatten sogar ihre Plätze in den langen Warteschlangen bei der Volkszählung aufgegeben und waren hergekommen. Herodes hatte mit einer großen Menschenmenge gerechnet, und seine Erwartungen waren noch übertroffen worden.
Im Thronsaal hatte man die Hinrichtungsmethode eingehend erwogen. Es gab eine so große Auswahl, und jede einzelne Methode hatte ihre speziellen Vor- und Nachteile. Kreuzigung war erniedrigend, dauerte aber zu lange. Man riskierte, dass die Leute Mitleid bekamen. Eine Verbrennung bei lebendigem Leib war dramatisch, aber zu gefährlich inmitten einer riesigen, übervölkerten Stadt. Erhängen wurde dem besonderen Anlass einfach nicht gerecht.
Letztlich war entschieden worden, dass die Enthauptung das beste Verfahren sei. Schnell und einfach, jedoch ausreichend brutal und erniedrigend. Wie es laut Tradition üblich war, würden die Gefangenen geknebelt und ihre Köpfe mit schwarzen Kapuzen verdeckt sein, damit sie keine letzten Worte von sich geben oder einen letzten Blick auf die Welt der Lebenden erhaschen konnten. Die Kapuzen verbargen auch die Angst auf den Gesichtern der Opfer, was sie entmenschlichte. Auf diese Weise wurde die Wahrscheinlichkeit vermindert, dass die Zuschauer angesichts des Schicksals der Delinquenten Mitleid empfinden könnten.
Nachdem man die Verurteilten vor aller Augen auf die Tribüne geführt hätte, würde man sie dazu zwingen, sich auf den Knien über einen Steinblock zu beugen, und ihnen rasch die Köpfe mit einer eisernen Axt abhacken. Auch wenn es – je nach der Dicke des Halses, der Schärfe der Klinge, dem Geschick des Henkers – möglicherweise etlicher Schläge bedurfte, bevor Ober- und Unterteil tatsächlich getrennter Wege gingen.
Sobald die Klinge ganz durch war, würde man die Kapuzen entfernen und die Köpfe hochheben, damit alle sie sehen konnten: die lose hängenden Kiefer, das Blut, das aus dem Hals strömte, und das immer blasser werdende Gesicht. Mit etwas Glück standen die Augen immer noch offen. Wenn man richtig Glück hatte, rollten sie noch immer herum und sahen verängstigt die jubelnden Gesichter in der Menge an.
Auf einmal erfüllten Trommelschläge den Platz. Die Flügel des Nordtores öffneten sich, und Herodes’ erwachsener Sohn Antipas kam in Begleitung der königlichen Wachen hindurchstolziert. Antipas war all das, was sein Vater einst gewesen war: muskulös und groß, die Wirbelsäule gerade, seine olivfarbene Haut makellos, und im Gesicht ein schmaler Bart aus dunklen Haaren. Herodes überlegte oft, was er dafür geben würde, um mit seinem Sohn zu tauschen, welche Gräueltaten er begehen würde, um wieder so viele Jahre vor sich zu haben, so viel Gesundheit und Schönheit. Würde er seinen eigenen geliebten Antipas umbringen, wenn es bedeuten würde, dass er selbst seine Gesundheit wiedererlangte? Er hegte nicht den leisesten Zweifel: Natürlich würde ich es tun.
Antipas erklomm die vier Stufen zur Tribüne und brachte die Menge mit einem Winken zum
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