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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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einsetzten und das Nordtor aufschwang. Balthasar wurde herausgeführt – eine schwarze Kapuze über dem Kopf, die Handgelenke auf den Rücken gefesselt. Als die Wachen ihn in die Mitte des Platzes brachten, stellten sich Männer und Frauen auf Zehenspitzen und rempelten einander an bei dem Versuch, einen guten Blick auf die Legende zu erhaschen. Diejenigen, denen es gelang, waren fast alle enttäuscht von dem Anblick, der sich ihnen bot. Das hier war kein Riese. Das hier war bloß ein Mensch. Ein Mann, der – wie schon die verstorbenen Caspar und Melchyor – gegen seine Fesseln ankämpfte. Selbst jetzt noch versuchte, sich zu befreien.
    Von seinem kleinen Fenster hoch oben konnte Herodes sehen, wie Balthasar sich ebenfalls zur Wehr setzte und gegen die Wachen ankämpfte, als man ihn die Stufen zu der hölzernen Tribüne hinaufführte. Nichts hätte Herodes glücklicher machen können. Nicht nur, dass der Geist von Antiochia sterben würde – noch dazu ging er seinem Tod vor den Augen ganz Jerusalems wie ein Feigling entgegen!
    Wie als Antwort auf Herodes’ Gedanken tat Balthasar beim Betreten der Tribüne etwas völlig Unerwartetes und Würdeloses. Etwas, das überhaupt nicht zu der Legende passte, die er gepflegt hatte, und das noch viel peinlicher war als nur gegen seine Fesseln anzukämpfen.
    Er bepinkelte sich.
    Herodes hätte es nicht bemerkt, wäre Antipas nicht der dunkle kreisförmige Fleck aufgefallen, der auf der Vorderseite des gelbbraunen Gewands des Gefangenen erschien. Sich ausbreitete. Sich einen Weg an den Beinen hinunterbahnte.
    »Seht ihn euch an!«, rief Antipas und deutete auf den Beweis. »Hier habt ihr euren mächtigen Geist von Antiochia! Die Geißel Roms beschmutzt sich im Angesicht des Todes!«
    Überall auf dem Platz brachen Gelächter und Jubelrufe aus. Beleidigungen kamen aus jedem Winkel der Menge. Herodes konnte es einfach nicht glauben. Nein … es war zu schön, um wahr zu sein! Seine schwärzlichen Zähne kamen erneut zum Vorschein. Die Legende des Geistes von Antiochia würde schon bald so tot sein wie die kopflose, in Pisse getränkte Leiche des Mannes selbst.
    Wie Caspar und Melchyor musste man Balthasar zwingen, sich vor den Steinblock zu knien. Im Gegensatz zu ihnen kniete er in seinem eigenen Urin. Sein Gesicht wurde mit Gewalt nach unten auf den kühlen Steinblock gepresst, und das Seil über seinem Rücken straff angezogen. Es kostete die Männer, die es hielten, all ihre Kraft, ihn an Ort und Stelle zu halten.
    »Und jetzt«, rief Antipas, »befreien wir die Erde von einem Dämon!«
    Die Menge verstummte wieder, als der Henker seine Ersatzaxt hob. Nachdem er zwecks Spannungssteigerung ein bisschen länger als gewöhnlich innegehalten hatte, stieß er ein angestrengtes Ächzen aus und ließ die Axt auf den sich windenden Gefangenen niedersausen. Doch just in diesem Moment zerrte Balthasar ein letztes Mal mit aller Kraft an dem Seil und hob seinen von der Kapuze bedeckten Schädel ein Stück von dem Block, sodass die Klinge sein Genick verfehlte.
    Doch trotzdem würde es heute keine dramatische Flucht für Balthasar geben. Denn die Klinge traf zwar nicht sein Genick, doch sie trieb sehr wohl einen ansehnlichen Keil in sein Gehirn.
    Er war tot.
    Der Jubel verstummte. In überschwängliche Gesichter trat Zweifel – man beobachtete schweigend die Blutstrahlen, die durch die schwarze Kapuze schossen. Beobachtete, wie der verlegene Henker seine Axt aus Balthasars Schädel zog. Dies war nicht die Enthauptung, für die die Menschen hergekommen waren, die Enthauptung, für die sie alles stehen und liegen gelassen hatten. Dies war nicht das Ereignis, auf das sie stundenlang in der Hitze gewartet hatten. Das Schweigen wurde rasch von Buhrufen abgelöst.
    Herodes’ Enttäuschung war größer als die aller anderen. Der Geist von Antiochia hatte selbst noch in seinen letzten Minuten die Kooperation verweigert. Selbst im Tod hatte er es geschafft, den König von Judäa bloßzustellen, seine Macht zu verspotten. Aber … wenigstens war er tot. Sicher, es war nicht die Hinrichtung gewesen, die Herodes sich erhofft hatte, aber es war trotzdem eine Hinrichtung gewesen. Das Ziel, die Erde von einem Dämon zu befreien, hatte man erreicht. Und letztlich zählte nur das.
    Antipas eilte auf die Tribüne. Eifrig erpicht, die Stimmung zu retten, befahl er dem Henker, seine Aufgabe zu Ende zu führen – den teilweise zertrümmerten Kopf des Gefangenen trotzdem abzuhacken. Der Henker setzte alles

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