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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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zog ihn auf die lockere Erde zu. Zog ihn hinunter ins Gra…
    Nein, das tat sie nicht. Hör auf, dich wie ein Baby aufzuführen …
    Doch er hatte etwas gespürt.
    Es war die vertraute Form einer Hand, allerdings eine Hand, wie er noch nie eine berührt hatte. Eine Hand, die nicht wärmer als die Erde war, in der sie vergraben lag, die Haut starr und ledern. Auf einmal traf Balthasar eine Erkenntnis. Eine, von der er sich wirklich wünschte, dass sie ihm vorher in den Sinn gekommen wäre: Er hatte noch nie zuvor eine Leiche angefasst.
    Er hatte sie gesehen, sicher. Jeder, der in den Slums von Antiochia zwölf Jahre alt geworden war, hatte schon längst eine Leiche zu Gesicht bekommen. Doch was Leichen betraf, lagen zwischen Ansehen und Anfassen Welten. Dennoch holte er Luft und strich das letzte bisschen Erde beiseite …
    Hier war ein Mann – dem Aussehen nach kaum zwanzig. Der dunklen, roten Linie um seinen Hals und dem unnatürlichen Winkel seines Kopfes nach zu urteilen hatte man ihn gehenkt. Aus welchem Grund würde Balthasar nie erfahren. Es war unwichtig. Wichtig war nur der Anhänger um jenen Hals. Ein goldener Anhänger an einem Lederriemen.
    Ich muss nur die Hand ausstrecken und danach greifen.
    Welche Streiche seine junge Einbildungskraft ihm auch spielte – wie echt es auch wirkte, als sich die blutunterlaufenen Augen des Mannes jäh öffneten und seine Hände nach Balthasars Kehle griffen, es war nicht echt. Menschen kehrten nicht ins Leben zurück. Es gab keinen Gott, den man zu fürchten hatte, keine Sünden, die man begehen konnte. Es gab nichts außer Aberglaube und den Phrasen, die die Propheten vor langer Zeit gedroschen hatten.
    Er musste nur die Hand ausstrecken und danach greifen …
    In der Nacht kehrte Balthasar unglaublich schmutzig nach Hause zurück, aber auch reicher, als er es je für möglich gehalten hätte. Auf der Stelle setzte er seine Mutter davon in Kenntnis, dass sie demnächst in ein besseres Viertel ziehen würden.
    Es war ein größerer Raubzug gewesen, als er es sich je hätte erträumen lassen. In einer Nacht hatte er neun Leichen geplündert. Und von diesen neun Leichen hatte er insgesamt sechs Ringe (vier golden, zwei silbern) und vier Anhänger (drei golden, einer silbern) eingestrichen. Alles in allem hatte es weniger als drei Stunden gedauert. Drei Stunden! Balthasar hätte von Glück reden können, in der gleichen Zeit auch nur einen einzigen Taschendiebstahl zu bewerkstelligen. Und bei Taschendiebstählen hatte man die Risiken, die Provisionen, die Schmiergelder. Nein, das hier war die Antwort. Das hier war die Lösung. Er hatte das gesamte westliche Ufer des Orontes für sich. Und das Beste daran war, dass kein Ende in Sicht war. Solange die Römer Leute hinrichteten, würde Balthasar Verwendungsmöglichkeiten für ihre unbenutzten Wertgegenstände finden.
    Am nächsten Morgen nahm er Abdi mit in die Stadt, und die beiden aßen Zimtdatteln, bis ihnen beinahe schlecht wurde. Und als sie sich unter ihrem Lieblingsbaum am Orontes ausruhten – dem mit der Narbe an der Seite, nicht weit von der Stelle, an der Balthasar in der vergangenen Nacht ins Wasser gestiegen war –, gab er seinem Bruder ein kleines Geschenk von seiner ersten Plünderung der Toten. Ein Andenken. Es war ein goldener Anhänger an einem Lederriemen, eine dünne, münzförmige Oblate mit dem Abbild des Gottes Pluto auf der einen Seite.
    »Der Gott des Reichtums«, sagte Balthasar, als er Abdi den Anhänger um den Hals hängte.
    Der einzige Gott, den zu verehren sich lohnt.
    Der Anhänger glitzerte in der Nachmittagssonne und wirbelte immer wieder herum, während Abdi lachend am Flussufer herumsprang, stolz auf sein Geschenk – doch noch stolzer auf den Umstand, dass er es von seinem großen Bruder bekommen hatte. Balthasar sah ihm aus dem Schatten des Narbenbaumes zu und grinste von einem Ohr zum anderen, während ab und an eine goldene Scheibe reflektierten Lichtes über sein Gesicht huschte. Das Licht vom Anhänger seines Bruders. Balthasar würde den Großteil seines Lebens der Suche nach eben diesem Anhänger widmen.

»Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.«
    – Matthäus 2,1–3

Herodes lächelte, wobei die Spitzen seiner dunkel verfärbten Zähne zwischen seinen dünnen

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