Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
war im Laufe dieser Katastrophe verschwunden. Er war nicht so dumm, seinem wütenden Vater über den Weg zu laufen.
»Und wenn ein Wort – wenn nur ein einziges WORT – hiervon jenseits dieser Wände laut wird, werde ich euch alle und eure Familien umbringen lassen! Keiner eurer Männer darf wissen, wen sie suchen! Was sie und ganz Judäa betrifft, ist der Geist von Antiochia tot! Verstanden?«
Die drei Generäle nickten. Selbst ein einfaches »Ja, Eure Hoheit« könnte in dieser Situation fehlgedeutet werden.
»Gut … nun macht euch auf die Suche nach ihm.«
Die Generäle verbeugten sich vor ihrem König, machten auf dem Absatz kehrt und marschierten davon, so schnell sie konnten, ohne sich ihre Angst anmerken zu lassen. Als sie dies taten, tauchte ein ängstliches Gesicht aus dem Schatten neben dem Thron des Herodes auf. Es gehörte einem Berater – einem bartlosen Mann mit kurzem graumeliertem Haar und von hoher, drahtiger Statur. Er hatte eine Pause in der Schimpftirade abgewartet, hatte den rechten Moment abgepasst, um die Nachricht weiterzugeben. Die schlimmstmögliche Neuigkeit. Der Berater wusste, es war absolut denkbar, dass er hingerichtet werden würde, bloß weil er der Überbringer dessen war, was er zu sagen hatte. Doch jemand musste es tun. Der König musste es wissen. Ausgerechnet heute Abend …
»Mächtiger Herodes«, sagte er.
Der König wirbelte herum. Der Berater war längst mitten in einer tiefen, entschuldigenden Verbeugung.
»Was denn?«
»Mächtiger Herodes, ich … ich muss Euch davon unterrichten …«
Der Berater hatte seine Verbeugung beendet und sah Herodes in die Augen. In jene schrecklichen, gelblich verfärbten Augen, die ihn mit ihren Blicken durchbohrten. Auf einmal wurde dem Berater bewusst, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte.
» WOVON ?«
»Ich … es ist meine traurige Pflicht …«
»Benutze deine Zunge, oder ich lasse sie dir aus dem Mund schneiden!«
Der Berater ließ sämtliche Hoffnung fahren, die Worte herauszubekommen, und deutete einfach auf die östliche Wand. Die gelblichen Augen des Herodes folgten dem Pfad, den sein Arm beschrieb.
»Was?«, fragte er. »Was soll ich betrachten? Ich sehe nichts als meine Pfeiler und die rückgratlosen Adeligen, die sich dahinter verstecken.«
»Vielleicht … wenn Eure Hoheit sich dazu herabließe, aus einem der Fenster zu blicken …«
Herodes war müde. Er war müde, und er wollte, dass dieser erbärmliche Tag endlich zu Ende ging. Was auch immer dieser Idiot ihm mitzuteilen versuchte, konnte nicht schlimmer sein als die Demütigung, die ihm vorhin widerfahren war. Er schleppte sich auf müden Füßen über den steinernen Boden auf die östliche Wand zu.
Als den Beratern, Weisen und Höflingen, die sich hinter den Pfeilern versteckten, klar wurde, dass der König sie im nächsten Moment erblicken würde, huschten sie in den hinteren Teil des Thronsaals.
Sie zogen sich so leise wie möglich zurück, während der König näher kam – doch nicht leise genug, um seiner Aufmerksamkeit zu entgehen. Hielten sie ihn für taub? Oder für blind? Glaubten sie, ein großer König konnte sich dreißig Jahre lang an seinem Thron festhalten, indem er sich wie ein Narr verhielt?
Herodes überkam eine wunderbare Vision, als er an den Pfeilern vorüberging und sich der östlichen Wand näherte. Die Vision einer Welt, auf der nur er lebte. Einer Welt, auf der es keine Geächteten zu jagen gab. Einer Welt ohne doppelzüngige Höflinge oder unfähige Generäle, ohne krankheitsbefallene Huren oder schöne, habsüchtige Söhne. Eine Welt, in der man keine Narren zu ertragen hatte. Vielleicht würde so das Himmelreich sein. Eine Welt für ihn allein. Eine Welt, die er nach seinem Bilde erschaffen konnte. Es war ein hübscher Gedanke.
Als Herodes eines der Fenster hinter den Pfeilern erreichte und hinaussah, begriff er die Mitteilungsschwierigkeiten des Beraters. Außerdem war ihm klar, dass dies erst der Anfang seiner langen Nacht war. Der Anblick verschlug ihm den Atem, selbst in dem Moment, bevor ihm vollständig aufging, was er zu bedeuten hatte. Denn dort, am östlichen Himmel, jenseits der Silhouette des Großen Tempels, befand sich ein Stern, der heller schien als alle Sterne, die er je gesehen hatte.
»Die Prophezeiungen, Eure Hoheit.«
Der Berater duckte sich furchtsam hinter ihm. In Erwartung des Ausbruches, von dem er wusste, dass er kommen würde. Doch Herodes spürte keinen Schrei, der ihm die Kehle hinaufkroch.
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