Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
das Baby fing zu weinen an, die Kamele scheuten, und Balthasar hatte erneut pochende Kopfschmerzen.
Jetzt hielt der Zimmermann sich mühsam auf den Beinen, umklammerte die Mistgabel mit der rechten Hand und hielt sich die blutüberströmte Nase mit der linken zu. Die Frau versuchte, ihn zu stützen, während sie gleichzeitig die Eindringlinge im Auge behielt und ihr weinendes Baby umklammerte. Balthasar ging einen Schritt mit weit von sich gestreckten Handflächen auf sie zu, eine besänftigende Geste, mit der man vielleicht versuchen würde, ein aufgeschrecktes Tier zu beruhigen. Der Zimmermann reagierte darauf, indem er wieder mit der Mistgabel zustieß, knapp an Balthasars Gesicht vorbei. Unter normalen Umständen hätte das den Zimmermann das Leben gekostet. Doch Balthasar hatte kein Schwert und konnte nicht riskieren, diesen Tumult noch in die Länge zu ziehen und unliebsame Aufmerksamkeit zu erregen. Er brauchte Ruhe, und zwar jetzt.
»Schon gut«, sagte Balthasar. »Immer … mit der Ruhe.«
Er wich zurück, die Handflächen weiterhin ausgebreitet, und bedeutete den anderen Weisen, das Gleiche zu tun. Die Frau stellte das Geschrei ein. Das Baby hörte auf zu weinen. Letzteres hätte Balthasar eigentlich merkwürdig vorkommen müssen, doch er war zu müde, als dass es ihm aufgefallen wäre.
»Gut«, sagte er. »Wie heißt du also?«
Der Zimmermann starrte ihn eine gefühlte Ewigkeit an – mit sich hebender und senkender Brust, während das Blut auf seinen Lippen und an seinem Kinn bereits zu trocknen begann. Als Balthasar schon fast glaubte, der Zimmermann würde niemals antworten, sagte er: »Josef.«
»Josef, gut. Schön, deine Bekanntschaft zu machen, Josef. Und sie?«
»Das ist meine Frau«, sagte er nach einer weiteren Pause. »Maria.«
»Gut. Josef? Maria? Ich heiße Balthasar. Das hier ist Caspar … das ist Melchyor. Wir wollen euch nichts zuleide tun … wir suchen nur einen Rastplatz. Und, Josef? Wenn du die Mistgabel da nicht weglegst, werde ich sie dir abnehmen und dich vor deiner Frau und deinem Kind abstechen. Verstanden?«
Balthasar beobachtete, wie sich der Zimmermann seine Worte eine gefühlte Ewigkeit lang durch den Kopf gehen ließ. Schwierig, nicht wahr? Wenn du die Mistgabel aufgibst, bist du wehrlos. Wenn du es nicht tust, musst du vielleicht uns alle drei töten. Also … was denn nun? Wie als Antwort auf Balthasars Gedanken warf der Zimmermann die Mistgabel zu Boden. Caspar wollte sich schon darauf stürzen, doch Balthasar streckte die Hand aus und hielt ihn zurück. Er brauchte Ruhe.
»Gut«, sagte Balthasar. »Setzen wir uns alle hin, und unterhalten uns eine Minute.«
Die Weisen banden ihre Kamele an, setzten sich ins Heu und lehnten die erschöpften Körper an die Boxen. Josef und Maria setzten sich auch, allerdings an die gegenüberliegende Seite des Stalls, die gerade einmal drei Meter entfernt war. Maria hielt das Baby dicht an sich. Ihr war immer noch ganz schwindlig von dem schockierenden Anblick, wie ihr Ehemann zusammengeschlagen worden war, und der Verlegenheit, in einem derart privaten, unschicklichen Zustand erblickt worden zu sein. Josef saß neben ihr und hielt sich immer noch die Nase.
»Welches Recht«, fragte Maria nach langem Schweigen, »haben drei Männer, mitten in der Nacht in jemandes Stall zu stürmen?«
» Euer Stall?«, fragte Caspar.
»Unser Stall. Wir sind zuerst hier gewesen«, sagte Maria.
»Wir brauchen nur einen Ort, an dem wir uns kurz hinlegen können«, sagte Balthasar.
»Tja, ihr könnt euch woanders hinlegen«, sagte sie.
»Ich fürchte nein.«
Maria musterte sie. Ihre Gewänder waren ausgesprochen teuer. Sie trugen Goldschmuck, und sie konnte den Weihrauch riechen, den sie bei sich trugen.
»Ihr seid offensichtlich Edelleute«, sagte sie. »Geht, und werft einen der Schäfer aus seinem Zuhause. Oder noch besser, geht nach Jerusalem und werft einen der anderen Edelmänner aus seinem.«
»Unsere Lage ist … kompliziert«, sagte Balthasar.
»Er ist der Geist von Antiochia«, sagte Melchyor.
Balthasar musste das Verlangen niederkämpfen, dem kleinen Griechen den Kiefer zu brechen. Wie konnte man nur so dumm sein? Hier waren sie nun, verkleidet und auf der Flucht, und er gab mal so eben die eine Information preis, die sie alle schneller als jede andere den Kopf kosten konnte. Sobald sie einschliefen, würden die Juden dort drüben zum nächsten Soldaten laufen und sie verpfeifen. Sie für die Belohnung verkaufen, die Herodes
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