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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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daran, seinen Fehler wiedergutzumachen, und erledigte den Auftrag mit einem Schlag. Die Menge jubelte von Neuem. Selbst die Stimmung des Herodes heiterte sich auf angesichts des Anblicks, als der Kopf des Geistes von Antiochia schließlich und unwiderruflich von seinem Rumpf getrennt wurde.
    Genau wie Antipas es schon bei Melchyor und Caspar getan hatte, zog er die Kapuze ab und hielt den Kopf in die Höhe, damit alle ihn sehen konnten.
    Bloß dass es nicht der Kopf des Geistes von Antiochia war.
    Genau wie es nicht die Köpfe von Melchyor oder Caspar gewesen waren.
    Die Menge jubelte weiter, und Antipas lächelte weiter – da keiner von ihnen wusste, wie der Geist von Antiochia wirklich aussah … oder dass es sich hierbei überhaupt nicht um ihn handelte.
    Doch Herodes wusste es.
    Er wusste, dass der Geist von Antiochia ihn überlistet – nein, gedemütigt – hatte. Gedemütigt vor seinem Volk. Er verspürte eine solche Wut, die ihm den Rücken hinaufkroch, einen unwiderstehlichen Drang aufzuschreien. Doch die Stimme versagte ihm. Er war machtlos. Ein machtloser König, gefangen in einem Turm, der nach der Gemahlin benannt war, die ihn gedemütigt hatte. Gefangen in einem Körper, der ihn demütigte. Er konnte nur zusehen, wie sein dummer, grinsender Sohn den falschen Kopf in die Höhe hielt.

Drei Weise aus dem Morgenland durchquerten bei Sonnenuntergang Jerusalem in östlicher Richtung. Jeder mit verhülltem Haupt und verdecktem Gesicht. Jeder in den Gewändern eines Toten.
    Wieder einmal hatte Balthasar sich darauf verlassen, dass die Religion ihn befreien würde. Es war den Kerkerwächtern nie auch nur in den Sinn gekommen, dass jemand, selbst wenn es sich um berüchtigte Mörder handelte, einem Priester etwas zuleide tun könnte. Es war den Wachen im Traum nicht eingefallen, zum Schutz der religiösen Berater des Königs in der Zelle zu bleiben, während sie den Verurteilten Trost spendeten. Ebenso wenig war es den Wachen eingefallen, sich die drei Weisen genauer anzusehen, als sie an die Tür der Zelle klopften und verkündeten, sie seien jetzt fertig – die Kopfbedeckungen nun so gebunden, dass ihre Gesichter verborgen waren.
    Die Wachen waren nicht die Einzigen, die falsche Schlüsse zogen. Balthasar hatte nicht damit gerechnet, dass drei unschuldige Männer für seine Freiheit mit dem Leben bezahlen müssten – sich zur Wehr setzen, durch ihre Kapuzen und Knebel hindurch schreien und sich vollpissen würden. Sein Plan hatte einfach nur gelautet, die Weisen zu überwältigen, ihre Kleider zu entwenden, sie mit Stofffetzen ihrer eigenen Gewänder zu fesseln und zu knebeln und sich aus dem Palast zu stehlen, bevor jemand den Tausch bemerkte. Er war sicher gewesen, dass Alarm geschlagen würde, sobald die Wachen wieder in die Zelle traten und die Weisen darin gefesselt, geknebelt und halb nackt vorfanden. Bloß war Balthasar nicht in den Sinn gekommen, dass es sich vielleicht nicht um dieselben Wachen handeln würde.
    Ja, die Männer, die in die Zelle kamen, die Männer, die den gefesselten und geknebelten Gefangenen ihre Kapuzen für die Hinrichtung überzogen und sie zu dem Richtblock führten, hatten keine Ahnung, wie Balthasar, Caspar und Melchyor aussahen, weil sie erst seit einer knappen Stunde im Dienst waren. Letztlich wurde den echten drei Weisen ein einfacher Schichtwechsel zum Verhängnis.
    Im Trubel der Hinrichtung war niemandem aufgefallen, dass der kleine runde Grieche nicht mehr ganz so klein und rund war, oder dass die gefesselten Hände des Äthiopiers namens »Caspar« nicht mehr ihre ursprüngliche Farbe hatten. Genau wie niemand die drei Weisen aufhielt, als sie in ihren aristokratischen Gewändern aus dem Kerker, durch den Palast und über den Innenhof gingen. Die Wachen hatten ihnen pflichtbewusst das Nordtor aufgemacht, ohne genauer hinzusehen, und die Gefangenen waren einfach auf den Platz hinausgeschlüpft, auf dem sich allmählich die Massen zur Hinrichtung des Jahres einfanden.
    Sie gingen so langsam wie möglich – trotz der angstvollen Aufregung, die in ihren Körpern pulsierte. Für sie gab es nur die Straße und das Verlangen, ihr weiter zu folgen. Das Verlangen, sich so weit wie möglich vom Palast des Herodes zu entfernen. Sie durchquerten die Stadt ohne haltzumachen, bis sie die Zisterne Bethesda erreichten, in der die Bewohner der umliegenden Vororte badeten, und Balthasar eine Pause einlegte, um die größte Wassermenge zu trinken, die je ein Mensch zu sich genommen

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