Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Keine Wut, die ihm die krumme Wirbelsäule emporkletterte. Beinahe … amüsierte ihn das Ganze. Früher an diesem Tag hatte er den Geist von Antiochia in seinem Kerker gehabt. Jetzt, lediglich ein paar Stunden später, war der Geist ein freier Mann, und – wenn man uralten Prophezeiungen Glauben schenkte – hatte der Himmel soeben das Eintreffen des Mannes signalisiert, der sämtliche Königreiche der Welt, das herodianische inbegriffen, umstürzen würde.
Vielleicht lag es an seiner heiseren Kehle. Vielleicht lag es nur daran, dass er erschöpft war. Doch als Herodes wieder sprach, tat er es mit einer sanften, beinahe zärtlichen Stimme.
»Bitte ruf die Generäle wieder zu mir.«
Der Geist von Antiochia würde warten müssen. Herodes hatte größere Probleme am Hals.
Sie hatten darüber gestritten, was es war. Ein Komet? Ein Feuer, das an einem wolkenverhüllten Berghang loderte? War es, wie Melchyor befürchtete, das alles sehende Auge von Herodes selbst, welches auf sie herniederblickte? Was auch immer es sein mochte, jedenfalls war es hell. Eine kleine Sonne, die zu ihrer Linken tief am Himmel hing und sämtliche anderen Feuer am Himmelszelt verblassen ließ, während die Männer gen Süden ritten.
Die Weisen benötigten einen Ort, an dem sie anhalten und sich zwei Stunden ausruhen konnten. Keiner von ihnen hatte in der vergangenen Nacht mehr als ein oder zwei Minuten geschlafen, und vor ihnen lag eine unsagbar lange und anstrengende Reise. Jerusalem kam nicht in Frage. Die Männer des Herodes traten auf der Suche nach ihnen jede Tür in der Stadt ein. Und die Wüste schied ebenfalls aus. Nicht mit dem Ding dort oben – dieser nächtlichen Sonne, die den größten Vorteil zunichtemachte, den die Wüste zu bieten hatte: riesige Weiten absoluter Dunkelheit, in die man verschwinden konnte.
Wenn sie nicht noch zwei oder drei Stunden reiten wollten, blieb ihnen kaum eine Wahl als eines der Dörfer außerhalb der Stadt. Balthasar würde bestimmt nicht Richtung Norden nach Bethel reiten – nicht nach der unzulänglichen Gastfreundschaft, die man ihm dort im Laufe seines letzten Besuches erwiesen hatte. Das Herodium war zu weit weg. Und sein Name leitete sich von Herodes ab, was sich, selbst für einen Mann von geringem Aberglauben, nach einer schlechten Idee anhörte.
Übrig blieb Bethlehem.
Es war ein Hirtendorf. Das bedeutete, dass es dort Ställe gab, in denen man sich verstecken konnte. Noch wichtiger: Ställe, in denen sie ihre Kamele verstecken konnten. Sie konnten sie nicht vor aller Augen im Freien angebunden stehen lassen – nicht in einem Dorf, in dem die einzigen Tiere Ziegen waren. Drei Kamele würden jedem Soldaten auffallen, der nicht völlig dämlich war. Besonders einem, der nach drei entflohenen Verbrechern Ausschau hielt.
Am nördlichsten Rand von Bethlehem, bevor sich das Dorf zu einer Reihe von Straßen mit Kopfsteinpflaster und gleichmäßig aufgeteilten Grundstücken organisierte, stießen die Weisen auf eine Ansammlung kleiner Backsteinhäuser zu ihrer Rechten, jedes mit einem hölzernen Stall an der Seite. Der größte dieser Ställe wirkte gerade groß genug, dass sich drei Männer und ihre Kamele für zwei Stunden hineinquetschen könnten. Außerdem war er am weitesten von der Hauptstraße entfernt, was ihn noch anziehender machte.
»Meint ihr nicht, dass wir noch ein bisschen weiterreiten sollten?«, fragte Caspar. »Schauen, ob es im Dorfkern etwas Besseres gibt?«
Balthasar sah die Straße hinunter nach Bethlehem. Abgesehen von ein paar kleinen Feuern schlief das Dorf tief und fest. Die Straßen waren so gut wie leer. Jedes Dach, jeder Pflasterstein war im Licht jenes sonderbaren Sterns deutlich sichtbar. Drei Männer auf Kamelen würden sofort auffallen. Sie konnten eine weitere Stunde damit zubringen, nach etwas Besserem zu suchen, während dieses Ding auf sie herunterschien, oder sie konnten jetzt zwei Stunden schlafen.
Balthasar bereute seine Wahl beinahe auf der Stelle.
Angefangen hatte es damit, dass die Weisen die Köpfe in den Stall steckten und die stillende junge Frau überraschten. Während ihnen noch ihr Schrei in den Ohren widerhallte, tauchte der Zimmermann aus dem Nichts auf und versuchte, sie mit einer Mistgabel aufzuspießen. Balthasars erste Reaktion war natürlich, den Handwerker an der Gurgel zu packen und ihm ins Gesicht zu schlagen – sodass er ihm ein blaues Auge und eine blutige Nase verpasste. Bei diesem Anblick schrie die junge Frau noch mehr,
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