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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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…«
    Er wurde von einem weiteren Schrei unterbrochen. Caspar und Balthasar wandten sich voneinander ab und blickten zu dem Dorf zurück. Dies war ein anderer Schrei gewesen. Vielleicht dieselbe Frau – aber ein völlig anderer Schrei.
    »Bloß einmal nachsehen«, sagte Balthasar. »Das ist alles.«
    Balthasar trat seinem Kamel in die Flanken und ritt auf der Straße in Richtung Bethlehem. Caspar und Melchyor warfen sich hinter seinem Rücken einen Blick zu, folgten ihm dann aber. Schließlich standen sie in seiner Schuld.
    Die Sonne hatte endlich den Kopf über den Hügelkamm im Osten geschoben – der Beginn einer Reise, auf der sie den Höhepunkt des Himmels erreichen, bevor sie altern und friedlich im Westen verscheiden würde. Ihr orangefarbenes Licht beschien die Rücken der Weisen, als sie von einer Hügelkette an der Ostseite Bethlehems ins Tal sahen. Von hier konnten sie in einige der breiteren Kopfsteinpflasterstraßen in der Mitte des Dorfes schauen. Doch während diese Straßen eben noch belebt und voll von der hektischen Betriebsamkeit des Alltags gewesen waren, herrschte dort auf einmal gespenstische Leere.
    Abgesehen von einer Frau in dunklem Gewand, die barfuß eine Kopfsteinpflasterstraße in ihre Richtung gelaufen kam. Sie lief schneller als je zuvor in ihrem Leben, denn nichts in ihrem Leben war je so wichtig gewesen. Von ihrem Aussichtspunkt sahen Balthasar und die anderen, weshalb:
    In ihren Armen befand sich ein Baby.
    Nackt. Winzig. An die Brust seiner Mutter gedrückt, während sie vor dem Pferd davonlief. Der Rappe galoppierte hinter ihnen her. Ein Soldat mit klirrender Rüstung und gezücktem Schwert saß auf seinem Rücken.
    Mit jedem Aufdonnern der Pferdehufe vernahm Balthasar jene heisere Stimme in dem Kerker immer lauter. Er hörte die kranke Phrasendrescherei eines machtbesessenen Königs. Eines Königs, der einst seine eigene Frau und seine Kinder zum Tode verurteilt hatte. Der vor seinem eigenen Fleisch und Blut nicht Halt gemacht hatte. Was sollte ihn davon abhalten? Wenn ein Mann seine eigenen Kinder ermorden konnte …
    Der Soldat ließ seine Klinge durch die Luft sausen und traf die Frau im Rücken. Sie fiel vorwärts, und obwohl sie mit aller Kraft versuchte, ihr Baby festzuhalten, entglitt es ihrem Griff. Es landete auf dem Kopfsteinpflaster und rollte einen Meter weiter, zu zerbrechlich, zu klein, um sich gegen den Aufprall zu schützen. Es blieb einen kurzen Moment still auf dem Rücken liegen und stieß dann einen schrecklichen Schrei aus. Seine Lunge arbeitete ausgezeichnet. Es hatte die Augen geschlossen. Die Frau reagierte, indem sie selbst aufschrie, und kroch auf ihr Kind zu, während der Soldat abstieg und zu der Stelle ging, an der das Kind schrie.
    Einen Moment stand der Soldat da, dann ließ er sein Schwert niedersausen.
    Der Soldat ließ sein Schwert … der Soldat ließ sein Schwert …
    Halt.
    Es lief gar nicht so ab. Balthasars Augen hatten ihm etwas vorgegaukelt. Er befand sich wieder in der Welt endloser Ozeane und ferner Visionen. Nein, es war nicht real. Das war unmöglich. Bloß dass … das kalte, kranke Wasser in seinem Blut ihm verriet, dass es doch so war. Dieses vertraute Gefühl. Das ihn auf die Jagd nach dem glitzernden Goldanhänger geschickt hatte.
    Die Schreie wurden heftiger, verstummten dann. Der Soldat wischte seine Klinge an der Sohle seiner Sandale ab.
    Es ist tot, es ist tot, es ist tot …
    Die Mutter kroch immer noch über das Kopfsteinpflaster auf ihren Sohn zu – schrie sich die Kehle wund. Der Soldat schlenderte gelassen zu ihr zurück – du Feigling, du Hund … das darfst du nicht tun, ich bringe dich – und rammte ihr die Klinge in den Rücken. Sie regte sich dann nicht mehr.
    Caspar und Melchyor trauten ihren Augen kaum. Sie waren Verbrecher. Sie alle waren Verbrecher. Sie hatten schon reichlich Morde und Grausamkeiten gesehen. Gott wusste es.
    Doch beide hatten noch nie etwas Derartiges erlebt. Beide hätten so etwas niemals für möglich gehalten. Der Anblick verschlug ihnen die Sprache.
    Balthasar biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sich Blut in seinem Mund sammelte.
    So ging es einfach nicht.
    Zur Hölle mit Qumran. Zur Hölle mit allem. Er beschloss, die Soldaten umzubringen. Alle. Er würde jedes einzelne wertlose Leben auslöschen, über jeder einzelnen zerstückelten Leiche stehen. Er hatte keine Ahnung, wie er dies bewerkstelligen würde, da er keine Waffen besaß und sie ihm zahlenmäßig mindestens zwanzig zu

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