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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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    Das Kamel reagierte. Es galoppierte über das Kopfsteinpflaster und war jetzt dicht hinter dem Rappen. Dicht genug, sodass Balthasar mit einem Schwert hätte zustechen können, wenn er bloß eines gehabt hätte. Balthasar verfiel auf die nächstbeste Methode: Er packte den Soldaten hinten am Kragen und riss ihn vom Sattel auf das Kopfsteinpflaster hinunter, wo er im nächsten Augenblick von Caspars und Melchyors Kamelen niedergetrampelt wurde. Sie hatten ihn nicht überrennen wollen – sie konnten einfach nicht rechtzeitig anhalten. Doch jetzt taten sie es, zogen an den Zügeln und kehrten um, um den angerichteten Schaden zu begutachten.
    Balthasar brachte sein eigenes Kamel zum Stehen und beobachtete, wie das Pferd des Soldaten noch dreißig Meter weitergaloppierte, anhielt, dann im Kreis trottete, ohne zu wissen, was es mit sich anfangen sollte. Er sah dem Jungen nach, der mit dem Neugeborenen in den Armen immer weiter lief, ohne zu ahnen, dass die Bedrohung hinter ihm verschwunden war.
    Lauf, Junge, und hör erst auf zu laufen, wenn du vor Erschöpfung zusammenbrichst.
    Der Soldat lag reglos auf dem Rücken, eine tiefe Delle im Brustharnisch, wo ihn der Huf eines Kamels getroffen hatte. Er war älter als die meisten Männer von so niederem Rang, mit einer Spur Grau an den Schläfen. Er hustete Blut – das Ergebnis eines zertrümmerten Brustkorbs und zerfetzter Organe, wie Balthasar vermutete. Gut. Sein linker Arm war unter einem weiteren Kamelfuß zermalmt worden, unterhalb des Ellbogens platt gedrückt, sodass er zu nichts mehr zu gebrauchen war. Stöhnend wand sich der Mann auf dem Boden.
    Gut … Hoffentlich sind das die schlimmsten Schmerzen, die du je erlebt hast.
    Balthasar sprang von seinem Kamel und ging auf ihn zu. Er ging gelassen, fühlte sich innerlich tot. Er trat dem Soldaten auf das Handgelenk, beugte sich vor und nahm ihm das Schwert ab. Es war nichts Besonderes. Standardausrüstung eines einfachen judäischen Soldaten. Doch es würde seinen Zweck erfüllen.
    Balthasar hielt dem Soldaten die Schwertspitze an die Kehle.
    »B-bitte«, sagte der Soldat, um Atem ringend. »N-nicht …«
    »Nicht was?«, fragte Balthasar und legte sich eine Hand ans Ohr.
    »Nicht t-töten …«
    »Dich nicht töten? Willst du das sagen?«
    »T-töte mich nicht …«
    Der Soldat schluchzte. Es war Balthasar beinahe peinlich.
    »Und wenn du den Jungen und das Baby eingeholt hättest, hättest du dann auch Erbarmen mit dem Baby gehabt?«
    »Bit…«
    Balthasar stieß zu, bis er den Knacks spürte, mit dem die Klinge durch den Adamsapfel des Soldaten fuhr. Der Mann umklammerte sie mit der rechten Hand – und das Blut quoll zu beiden Seiten der Handfläche hervor. Er versuchte fieberhaft, sich das Schwert aus der Kehle zu ziehen, doch Balthasar stieß fester zu und drehte die Klinge, sodass er ein noch größeres Loch riss. Da war sie: genau die Blässe … genau die Maske der Angst … genau die furchtbare Erkenntnis, dass er sterben würde.
    Gut , dachte Balthasar. Hoffentlich hast du Angst …
    Caspar und Melchyor waren hinter ihm abgestiegen und sahen zu, wie der Soldat auf dem Rücken liegend sein Leben aushauchte. Seine Glieder bewegten sich erst schwach, dann gar nicht mehr. Balthasar hob den Blick vom Gesicht des sterbenden Soldaten, abgelenkt von erneutem Rüstungsklirren in der Ferne. Als er aufblickte, sah er fünf judäische Soldaten mit blutverschmierten Schwertern am anderen Ende der Straße aus einem Haus kommen. Aus dem Innern drangen die Schreie einer Mutter und eines Vaters. Die Soldaten befanden sich auf halbem Wege zu ihren wartenden Pferden, als einer Balthasar bemerkte, der über ihrem sterbenden Kameraden stand. Angesichts dieser Tragödie kamen der Soldat und seine vier Kameraden zu dem gleichen Schluss wie Balthasar nur wenige Minuten zuvor:
    So ging es einfach nicht.
    Balthasar beobachtete, wie sie angestürmt kamen – so erbost, so erpicht, diese Ungerechtigkeit zu beheben, dass sie vergaßen, ihre Pferde mitzunehmen. Wenn die Weisen jetzt auf ihre Kamele stiegen, würden sie ohne Weiteres entkommen. Doch Balthasar war nicht nach Bethlehem geritten, um wegzulaufen. Er wollte jeden Einzelnen von ihnen umbringen oder beim Versuch sterben.
    Er zog sein Schwert aus dem Hals des sterbenden Soldaten und ging ihnen ein Stück auf der Straße entgegen. Die Judäer waren in jeder Hinsicht im Vorteil. Zahlenmäßig. Was ihre Bewaffnung betraf. Doch das war Balthasar egal. Er würde nicht von der

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