Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
eins überlegen waren, aber er würde es tun . Er war ganz von etwas erfüllt, das nicht Wut, sondern etwas Stärkeres war. Etwas Mächtigeres und Gerechteres.
Die Frau, die auf der Straße im Sterben lag, hob den Kopf. Der Mann auf dem Rücken des Rappen entfernte sich. Ritt davon. Ließ sie beide verblutend auf der Straße zurück. Sie hob den Kopf, so hoch sie konnte, entschlossen, noch einmal ihren Sohn anzusehen, bevor sie aus dem Leben schied.
Die Sonne ging auf. Ihr greller orangefarbener Schein funkelte in den dünnen Haaren des Babys. Haare, die nie eine andere Farbe annehmen würden. Seine Augen waren geschlossen, seine Brust hob und senkte sich nicht mehr. Seine Hände. Winzig, zart, kalt. Doch da war noch etwas. Etwas über ihm. Über ganz Bethlehem im Licht des frühen Morgens. Die Frau glaubte, die Gestalten von drei Männern auf Kamelen zu sehen, aber sie waren nur schwer zu erkennen. Die Sonne befand sich direkt hinter ihnen und schuf einen blendenden Glorienschein um ihre Köpfe. Ihr letzter Gedanke galt der Frage, ob sie gekommen waren, um sie im Jenseits willkommen zu heißen.
Als Balthasar endlich etwas sagte, musste er jede einzelne Silbe hervorzwingen.
»Ihr beiden steht in meiner Schuld?«
»Ja«, sagte Caspar, »aber du kannst doch nicht allen Ernstes …«
»Ihr beiden steht in meiner Schuld?«
Caspar zögerte. Er wusste, was als Nächstes käme.
»Ja …«
»Dann folgt mir.«
Balthasar trat seinem Kamel in die Flanke und ritt in das Dorf hinunter. Im Einklang mit dem Gesetz der Wüste, aber im Gegensatz zu jedem einzelnen ihrer Instinkte folgten Caspar und Melchyor ihm.
Josef und Maria hörten die Schreie ebenfalls. Und obwohl sie nicht wagten, den Stall zu verlassen und nachzusehen, wussten sie, was los war. Sie wussten, dass es passierte. Genau jetzt. Genau hier in Bethlehem. Sie hörten das Donnern der Hufe auf der Straße, das Klirren von Rüstungen auf dem Weg ins Dorf. Für eine Flucht war es zu spät. Da draußen waren einfach zu viele.
Josef drängte Maria und das Baby rasch in eine der winzigen Boxen. Eine schwarz-weiß gefleckte Ziege protestierte, als Josef sie zur Seite schob, um seiner Frau Platz zu machen, die sich mit dem Baby an ihrer Seite zusammengerollt hinlegte. Josef bedeckte sie mit so viel Heu wie möglich – das meiste war mit eingetrocknetem Dung verklebt. Es war kaum genug vorhanden, um sie auch nur notdürftig zu verbergen, doch es musste reichen.
Nachdem Josef sie so gut wie möglich versteckt hatte, knallte er die Box zu und versuchte sich den Anschein zu geben, als würde er hier arbeiten, indem er seine alte Freundin, die Mistgabel, ergriff und so tat, als würde er den Stall ausmisten. Wenn die Soldaten hereingestürzt kamen, würden sie einen Mann bei der Arbeit erblicken, nichts weiter. Sie würden ihn in Ruhe lassen und woanders suchen. Doch wenn nicht – wenn sie aus irgendeinem Grund beschlossen sich umzusehen, Gott behüte, konnte er Maria mithilfe der Mistgabel ein wenig Zeit erkaufen.
Josef wartete und betete. Betete, dass die Soldaten sich gar nicht um den Stall kümmern würden. Warum auch? Es ergibt keinen Sinn. Ställe sind für Tiere, nicht für Neugeborene. Er betete, dass der Schäfer, der Mitleid mit ihnen gehabt hatte – der ihnen überhaupt erst Unterschlupf gewährt hatte –, sie jetzt nicht verraten würde. Vor allem betete Josef, dass das Baby nicht zu weinen anfing. Bisher war es bemerkenswert ruhig geblieben, selbst als er es mit Heu und Dung zugedeckt hatte.
Ein einzelner Soldat jagte einen zwölfjährigen Jungen über das Kopfsteinpflaster in der Nähe der Dorfmitte. Nicht um ihn umzubringen, sondern seinen kleinen Bruder, den er in den Armen hielt. Das Baby, das er seiner Mutter weggeschnappt hatte, weil er sicher war, dass er schneller laufen konnte als sie. Und er hatte recht gehabt. Er war schneller, als sie es je hätte sein können. Doch er war nicht schneller als der Rappe mit dem klirrenden Mann auf dem Rücken.
Der Soldat zückte das Schwert, als er sich dem Rücken des Jungen näherte, ohne zu ahnen, dass ihm in diesem Moment drei Männer auf Kamelen dieselbe Straße entlang hinterherjagten. Ohne zu ahnen, dass der Geist von Antiochia ihn beinahe eingeholt hatte und seinem Kamel fester in die Flanke trat, als er je etwas in seinem Leben getreten hatte. Fester, als er sein unglückseliges Kamel in der Judäischen Wüste getreten hatte. Schneller, du Drecksding. Caspar und Melchyor ritten dicht hinter ihm
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