Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
zerstreue ich unter die Völker und zücke hinter euch das Schwert. Euer Land wird zur Wüste, und eure Städte werden zu Ruinen.«
– Levitikus 26,33
Kurzzeitig hatte es den Anschein, als sei Herodes mit Schreien fertig. Dann fing er wieder an.
Was aus seinem kranken Mund kam, war weniger eine Ansammlung von Wörtern als eine Folge schriller, gequälter Laute. Eine müde Lunge, die Luftstöße durch wunde Stimmbänder zwang. Klänge ohne Gestalt oder Rhythmus. Die Improvisationen eines Wahnsinnigen. Die Kurtisanen des Herodes hatten sich wieder einmal hinter ihre Pfeiler geflüchtet. Seine Berater und Diener drückten sich mit dem Rücken an die Wände des sonnendurchfluteten Thronsaals und versuchten, sich so klein wie möglich zu machen, während ihr König im Kreis ging, jeden Gegenstand, der ihm in die Quere zu kommen wagte, zerriss oder trat, und jene beängstigenden, sinnentleerten Laute ausspuckte.
Eine Leiche lag im Zentrum der Zerstörung im Umkreis des Herodes – die Leiche eines Riesen, dessen Beine in Bethlehem vom Feind zerfetzt worden waren und dessen Kehle eben erst vom Freund in Jerusalem durchgeschnitten worden war.
Es war die Leiche des Soldaten, den Balthasar am Leben gelassen hatte.
Nur wenige Augenblicke zuvor hatte man ihn vor seinen König geführt. Zwei andere Soldaten stützen ihn, als er durch den Thronsaal humpelte, und halfen ihm nach unten, als er auf kaputten Beinen vor Herodes niederkniete. Mit geneigtem Kopf und vor Angst am ganzen Körper zitternd hatte der Riese seine Neuigkeiten überbracht: Es war ihnen nicht gelungen, sämtliche männliche Kinder in Bethlehem umzubringen. Sein Hauptmann war tot und viele Männer mit ihm.
»Haben sich die Männer des Dorfes gegen euch erhoben?«, fragte Herodes. In seiner Frage klang ein schwacher Hoffnungsschimmer mit. Ein Aufstand konnte verziehen werden. Besser noch, er ließ sich niederwerfen. Er würde einfach mehr Männer hinschicken.
»Nein, Eure Hoheit.«
»Warum kommt dann einer meiner Soldaten mit hängendem Kopf zu mir zurückgekrochen und vergießt sein Blut auf meinem Boden? Wer hat dir das angetan?«
Der Soldat hielt inne, weil ihn das, was er gleich sagen würde, beschämte. Er hatte in Erwägung gezogen, den König anzulügen und zu behaupten, es wären dreißig oder sogar fünfzig Männer gewesen, von denen sie in Bethlehem besiegt worden waren, sich eine Geschichte über eine Bande geheimnisvoller Kämpfer auszudenken, die aus dem Nichts kamen. Söldner aus irgendeinem benachbarten Königreich. Doch Lügen war zwecklos. Früher oder später würde Herodes die Wahrheit erfahren. So schmachvoll sie auch war, musste sie doch eingestanden werden.
»Drei Männer, Eure Hoheit«, sagte der Soldat nach einer Weile.
Herodes stand auf und kam langsam, ganz langsam die Stufen seines Throns herunter.
»Drei Männer?«
»Drei Männer … gekleidet wie Edelleute.«
An den Enden von Herodes’ Armen ballten sich seine spindeldürren Finger zu Fäusten.
»Sie … haben unseren Hauptmann getötet und … sind mit einem Kind entkommen. Einer von ihnen hat mir eine Botschaft aufgetragen. Ich … soll sie Euch ausrichten.«
Jetzt befand sich Herodes direkt vor dem Soldaten. Seine kleine Gestalt wirkte neben dem Riesen, der vor ihm kniete, auf beinahe komische Weise gebrechlich.
»Dann«, sagte Herodes, »richtest du sie wohl besser aus.«
Der Soldat schluckte heftig. Hätte er die Wahl gehabt, wäre er lieber auf den Straßen von Bethlehem verblutet. Doch ihm war diese Pflicht zugefallen, und sie musste erfüllt werden.
»Er hat gesagt: ›Der Geist von Antiochia lacht Euch aus‹. Er hat gesagt, er wird ›über Eurem Grab stehen‹.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Herodes die Worte verarbeitet hatte. Als es so weit war, büßte er noch das letzte Stück gesunden Menschenverstandes ein und befahl, dem Soldaten auf der Stelle die Kehle durchzuschneiden. So etwas auch nur zu wiederholen war schon Verrat. Folglich zückten nun die beiden Soldaten, die ihrem angeschlagenen Kameraden beim Niederknien geholfen hatten, hinter ihm ihre Klingen. Der Riese selbst widersetzte sich nicht. Nicht als seine Brüder ihre Dolche über seine Kehle zogen. Noch nicht einmal, als er sah, dass ihre Arme voll roter Spritzer waren, oder als er das warme Blut spürte, das ihm über die Brust rann. Er hatte es gewusst. Er hatte es in dem Augenblick gewusst, als der Geist von Antiochia ihn zu seinem Boten auserkoren hatte. Er hatte gewusst, dass er
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