Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
weiter zu beeindrucken und seine eigene Zukunft abzusichern. Er würde selbstverständlich General werden. Daran bestand kein Zweifel. Und zwar noch vor seinem dreißigsten Geburtstag, wenn es in diesem Tempo weiterging. Danach? Vielleicht Senator. Oder der Statthalter einer Provinz. Doch diese Früchte reiften erst noch an der Rebe. Er würde sie alle zu gegebener Zeit pflücken.
Der junge Offizier erreichte die gewaltige Flügeltür am Ende des Ganges. Die Flügel waren sechs Meter hoch, versilbert und mit Gold verziert. Ein goldener Adler, Symbol von Roms militärischer Macht, beherrschte diese Ausschmückungen – seine ausgebreiteten Schwingen überspannten die gesamte Breite der beiden geschlossenen Türhälften. Der Offizier und seine Untergebenen salutierten vor den Wachen, die zu beiden Seiten der Tür standen. Die Wachen salutierten ebenfalls und traten beiseite, um die Tür zum Thronsaal zu öffnen. Doch der Offizier hob eine Hand: noch nicht.
Er hielt einen Moment lang inne. Holte Luft, sammelte sich. Dieser Auftritt musste gelingen. Immerhin würde er gleich den Herrscher der Welt bitten, gegen ein Baby und einen Dieb in den Krieg zu ziehen. Als er sich bereit fühlte, wandte der Offizier sich an eine der Wachen: »Sag dem Kaiser, Pontius Pilatus sei hier und wünsche ihn zu sprechen …«
Augustus Caesar war der mächtigste Mensch, der je Atem geschöpft hatte, auch wenn er nur im engsten Sinne des Wortes ein »Mensch« war.
Seinen Untertanen war er ein Gott. Das spiegelte sich in der Art wider, in der sie ihn verehrten. Sie fürchteten und beteten sein Abbild an, ob es nun auf eine Goldmünze geprägt oder in Marmor gemeißelt war. Er war über sechzig, doppelt so alt wie die durchschnittliche Lebenserwartung. Doch er war in Würde alt geworden und strahlte immer noch imposante, wenn auch ergraute Macht aus. Der Name, den seine Untertanen ihm verliehen hatten, Augustus, bedeutete »der Erhabene«, und bei öffentlichen Auftritten verlangte das Protokoll, dass er mit einer Reihe an Gemeinplätzen vorgestellt wurde, unter anderem:
Der, an den die Götter nicht herankommen! Der, vor dem alle Könige in die Knie gehen! Der, vor dem selbst die Berge sich verbeugen!
Sein Reich umfasste jeden Winkel der bekannten Welt: von Hispania im Westen bis nach Syrien im Osten, von der Spitze Afrikas im Süden bis zum nördlichsten Gallien. Ihm standen das größte Heer und die größte Flotte zur Verfügung, die es je gegeben hatte. Die am besten ausgebildeten Soldaten mit den besten Waffen, die sich mit den gesammelten Steuern der Erde kaufen ließen.
Doch diese ganze Macht war nichts ohne visionäre Kraft.
Ein Mangel an visionärer Kraft war seinem Onkel Julius zum Verhängnis geworden. Es hatte Julius Caesar bei all seinem militärischen Können, all seinem strategischen Genie doch an visionärer Kraft gefehlt.
Das Schicksal hatte ihm die Welt in die offene Hand gelegt, doch er war nicht Manns genug gewesen, die Faust darum zu ballen und sie sich ganz zu nehmen. Er hatte versucht, ein Mann des Volkes zu sein. Er hatte versucht, seine Macht mit dem Senat zu teilen. Und zur Belohnung war er just von den Senatoren, denen er die Hand gereicht hatte, dreiundzwanzigmal in den Rücken gestochen worden, während er bei dem Versuch zu fliehen auf seinem eigenen Blut ausrutschte. Man ließ ihn drei Stunden lang auf den Senatsstufen verrotten, bevor sich jemand die Mühe machte, seine Leiche zu bedecken. Das war sein Lohn dafür, ein Mann des Volkes gewesen zu sein.
Unglaublich, dass er das Ganze hätte aufhalten können, wenn er nur willens gewesen wäre, die Waffe einzusetzen …
Die Welt wusste, dass Julius Caesar Rom von einer Republik in ein Kaiserreich verwandelt hatte. Man wusste, dass er ein begabter Redner und General war. Doch nur wenige seiner engsten Vertrauten – einschließlich seines geliebten Neffen Augustus – kannten das dunkle Geheimnis hinter seiner Macht. Die Waffe, die ihm das Selbstvertrauen geschenkt hatte, in Rom einzumarschieren und das Reich an sich zu reißen:
Die Magier.
Julius war im Laufe der Eroberung Galliens an diese Waffe gelangt, allerdings nicht, indem er sie einem anderen Herrscher entwendet oder sie nach seinen eigenen Plänen erschaffen hätte. Er war in ihren Besitz gelangt, weil die Waffe ihn erwählt hatte. Wie Julius es in einem Brief an Pompeius, ebenfalls General und sein Vertrauter, erläuterte:
Der Feldzug verlief schlecht. Die Gallier hatten uns dazu gebracht,
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