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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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und rotes Ziegeldach deutlich römisch wirkten. Hier war sie, offensichtlich völlig verblüfft, ihn zu sehen.
    Natürlich ist sie verblüfft. Hier bin ich, nach all der Zeit, nach allem, was passiert ist, nach dem, wie es zu Ende gegangen ist.
    Sela starrte ihn eine gefühlte Ewigkeit lang mit ausdrucksloser Miene an. Ihr Haar war tintenschwarz, ihr Körper lang und dünn, die Haut wie poliertes Kupfer, genau wie ihre Augen. Zehn Jahre. Nein, es sind definitiv zehn. Sie musste jetzt vierundzwanzig sein, ein Jahr hin oder her, doch sie sah beinahe genauso aus wie damals, als er sie verlassen hatte.
    Balthasar lächelte. Jenes traurige Lächeln, das sie früher geliebt hatte. Dem sie nie widerstehen konnte. Trotz all ihres Zorns, trotz all ihrer Traurigkeit und ihres Argwohns. Diese Dinge waren ohne Bedeutung gewesen, wenn sie mit Balthasar zusammen gewesen war. Sie schienen jedes Mal zu verfliegen, wenn sie ihn ansah. Damals in ihrer Jugend und bei der Art von Liebe, die nur junge Menschen empfinden können. Die erste Liebe. Die mit-einem-mulmigen-Gefühl-im-Bauch-, die-ganze-Nacht-wach-liegende-und-die-Stunden-bis-man-sich-wiedersah-zählende Art von Liebe.
    Hat sie gedacht, dass dieser Tag je kommen würde? Rechnete sie jedes Mal, wenn sie diese Tür öffnete, halb damit, mich hier stehen zu sehen? Hat sie so oft an mich gedacht wie ich an sie? Hat es je einen anderen gegeben? Mehr als einen? Ist da jetzt ein anderer?
    Balthasar öffnete den Mund, um ihr ein Kompliment zu machen. Es war noch nicht vollständig ausgefeilt, doch er tendierte dazu, ihre Schönheit zu preisen. Etwas wie: »Die Jahre sind spurlos an dir vorübergegangen.«
    Nein, das ist dumm. Natürlich sind sie nicht spurlos vorübergegangen.
    »Du bist keinen Tag älter geworden«, kam ihm als Nächstes in den Sinn, doch das war nicht poetisch genug.
    »Du bist genau so, wie ich dich in Erinnerung habe?« Nein, das ruft die Vergangenheit wach, und an der Vergangenheit wollen wir ganz gewiss nicht rühren.
    Da Balthasars Mund offen stand und die Zeit abgelaufen war, entschied er sich für das einfallslose, aber ungefährliche: »Schön, dich zu sehen.«
    Doch bevor die Wörter ganz von seiner Zunge perlen konnten, hatte er eine Faust im Mund.
    Sie wurde mit so viel Gewalt geführt, dass seine eigenen Zähne kurzzeitig zu Waffen wurden und sich gegen ihn selbst richteten, indem sie seine Unter- und Oberlippe von innen aufrissen. Balthasar verlor beinahe das Bewusstsein, während sein Gehirn in seinem Schädel herumklapperte und er rückwärts auf die kopfsteingepflasterte Straße wankte und nur mit Mühe das Gleichgewicht halten konnte.
    Zuerst war ihm nicht klar, dass er geschlagen worden war. Es hatte keine Reaktion gegeben, kein Verziehen der Miene, das ihn gewarnt hätte. Im einen Moment war sie dort gewesen, schön und deutlich, und im nächsten waren da drei von ihr – und ihre Gesichter schwebten hinter einer dicken trüben Glasscheibe. Als sich die ersten Schmerzen in seinem Mund bemerkbar machten, sich eine Bahn durch den Nebel schnitten, wurde er nochmals getroffen. Zuerst von einem weiteren Fausthieb und dann mit einer Sandalensohle, mit der Sela ihm direkt vor die Kehle trat.
    Einen Augenblick lang war er von schönen Erinnerungen erfüllt gewesen. Von der Musik einer Liebe, die lange auf ein Wiedersehen gewartet hatte. Doch jetzt umklammerte Balthasar seine Kehle, rang keuchend nach Atem und war kaum mehr bei Bewusstsein, während Fäuste und Füße erbarmungslos auf ihn niederhagelten. Seine Arme hingen nutzlos an seiner Seite, während sein Gesicht wieder und wieder getroffen wurde. Faust, Sandale, Sandale, Faust. Das Einzige, das ihn davonabhielt, ohnmächtig zu werden, war seine Neugier. Seine Gedanken versuchten derart konzentriert herauszufinden, was zum Teufel hier vor sich ging, dass sein Geist sich weigerte abzuschalten. Sogar dann noch, als der nächste Tritt Balthasar am Kinn traf, sodass sein Kopf gewaltsam nach hinten flog, und Balthasar dumpf auf dem Boden aufschlug.
    Irgendwo, aus weiter, verschwommener Ferne, sahen die anderen zu ihm herunter, verblüfft und schweigend. Einer schrie etwas. Etwas wie: »Warte!«, oder »Halt!«, oder »Was tust du da?«
    Ist das der Zimmermann? Ist das der Zimmermann, der ihr Einhalt gebietet? Ich kann es nicht mit Sicher… ahhhhhh, mein Gesicht tut weh …
    Als Balthasar auf den Rücken rollte und sich die längst angeschwollenen Lippen und Nase hielt, ließ Sela endlich von ihm ab und

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