Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Mann, der da direkt auf ihn zukam, den Blick starr geradeaus. Du, dachte er. Du bist der kluge Kopf. Klug genug, uns in eine Falle zu locken, anstatt uns offen in der Wüste anzugreifen.
Balthasar war sich nicht sicher, woher er es wusste, doch er war sich auf einmal völlig sicher, dass dies der Mann war, der seine Truppen zurückgehalten hatte, verborgen – wohl wissend, dass der Anblick von römischen Patrouillen seine Opfer vertrieben hätte, bevor sich ihm die Gelegenheit bot zuzuschlagen. Der Mann, der ihren Weg durch die Stadt vorhergesehen und einen Hinterhalt gelegt hatte. Irgendwie wusste Balthasar, dass er den Urheber ihrer Notlage vor sich hatte. Und irgendwie wusste er, dass dieser Offizier noch eine sehr wichtige Rolle in seinem Leben spielen würde, auch wenn er keine Ahnung hatte, welche, oder weshalb er sich da so völlig sicher war.
»Lauft weiter!«, befahl Balthasar den anderen Flüchtlingen und reichte Maria an ihren Mann weiter.
»Aber wohin willst du …«, fragte Josef.
» LOS !«
Josef führte Maria auf die Kamele zu. Melchyor und Caspar humpelten hinter ihnen her. Balthasar hob das Schwert, als der Offizier näher kam … nun schon fast bei ihm war. Merkwürdig , dachte er. Es ist, als sollten wir beide hier sein. Als sollten wir hier auf der Straße in diesem Augenblick aufeinandertreffen.
Bevor Balthasar weiterdenken konnte, war der Offizier bei ihm, und die beiden kämpften miteinander – und beide wussten irgendwie, dass sie sich ihr ganzes Leben auf diesen Augenblick zubewegt hatten, zwei Boote auf zwei Flüssen, die sich auf dasselbe Meer zuschlängelten. Äußerlich ließen sie sich dieses Gefühl nicht anmerken. Sie trafen einfach in der Mitte der von Panik erfüllten Straße aufeinander, hoben die Schwerter und versuchten, den anderen umzubringen. Und auch wenn große Maler dem Ereignis wahrscheinlich ein prächtiges Denkmal gesetzt hätten, indem sie die Männer in beeindruckender Kleidung beeindruckende Posen einnehmen ließen, war die Wirklichkeit um einiges unschöner. Balthasar und Pilatus waren beide mit Dreck und Schweiß und Blutspritzern übersät, taten beide ihr Bestes, um dem anderen den Schädel einzuschlagen, indem sie auf ihren Gegner einprügelten, ihn packten und an ihm zerrten.
Zwar war Balthasar der bessere Schwertkämpfer, doch Pilatus war besser genährt und ausgeruht, und schon bald befand sich der Geist von Antiochia in der Defensive und hielt sich das Schwert vors Gesicht, um die wiederholten Hiebe des Pilatus zu parieren. Nur noch ein paar mehr und du bist fällig, dachte Pilatus. Und dann kümmere ich mich um den Säug…
Hinter ihm erhob sich Gebrüll. Das Gebrüll wutentbrannter Männer, die in die Schlacht zogen. Ihre Schreie hallten die ganze Straße entlang. Pilatus und Balthasar hörten auf zu kämpfen und drehten sich in Richtung des Lärms.
Hunderte schreiender frommer Juden strömten am nördlichen Ende auf die Straße, als wäre auf einmal ein Damm geborsten, der ein Meer aus Leibern gehalten hatte. Der römische Angriff hatte sich endlich bis zur Höhle von Machpela herumgesprochen, und Pilger wie Propheten hatten ihre Schultertücher abgeworfen und waren zu Hilfe geeilt, bereit, ihr Leben für die Verteidigung der Heiligkeit von Abrahams letzter Ruhestätte hinzugeben.
Wie können die gottlosen Römer es wagen, solch eine heilige Stadt zu schänden! Wie können sie es wagen, Unschuldige abzuschlachten!
Die Gläubigen griffen die Römer mit allem an, was sie finden konnten. Manche kämpften mit bloßen Händen, andere benutzten Stöcke und Steine. Vom Basar aus hatten sich Dutzende Männer in den Kampf gestürzt. Von der Höhle von Machpela stürmten Hunderte herbei – jeder Einzelne in der festen Überzeugung, für eine gerechte Sache zu streiten.
Genau das hatte Pilatus befürchtet. Genau deshalb hatte er sein Heer nicht mit wehenden Fahnen in die Stadt einmarschieren lassen. Jetzt würde er seine Männer zurückrufen müssen oder eine echte Katastrophe riskieren: mit anzusehen, wie der Aufstand auf die restliche Stadt übergriff. All das , dachte er und betrachtete den Wahnsinn vor sich. All das wegen eines Babys und eines Die…
Pilatus kam wieder der Geist von Antiochia in den Sinn, und er wirbelte mit erhobenem Schwert herum, erneut kampfbereit … doch der Geist war verschwunden.
Es ergibt keinen Sinn , dachte Balthasar, während er auf die Kamele zulief. Woher hatten die Römer gewusst, wo sie sein würden? Warum hatte er
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