Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
Vom Netzwerk:
eine derart merkwürdige Verbindung zu dem Soldaten empfunden?
    Es war wohl egal. Was zählte, war, dass fortan keine Stadt und kein Dorf mehr sicher sein würden. Keine Straße passierbar. Man konnte keinen Fremden vertrauen, dass sie das Geheimnis für sich behalten würden. Nicht, wenn derart viele Römer nach ihnen suchten. Die Flüchtlinge würden nicht mehr haltmachen können. Nicht vor Ägypten. Doch ohne Vorräte würden sie die ägyptische Grenze nicht erreichen. Sie würden einen anderen Weg einschlagen müssen. Einen unerwarteten Weg. Fortan würden sie sich nicht mehr an die Öffentlichkeit wagen können, noch nicht einmal verkleidet. Es war zu gefährlich.
    Was sie brauchten, war ein Ort, an dem sie sich eine Zeit lang verstecken konnten. Ihre Vorräte auffüllen. Ein unerwarteter Ort. Ein sicherer Ort. Und trotz aller Eide, die Balthasar sich selbst geschworen hatte, wusste er ganz genau, wohin sie sich wenden mussten.

»Denn nicht mein Feind beschimpft mich, das würde ich ertragen; nicht ein Mann, der mich hasst, tritt frech gegen mich auf, vor ihm könnte ich mich verbergen. Nein, du bist es, ein Mensch aus meiner Umgebung, mein Freund, mein Vertrauter.«
    – Psalmen 55,13–14

Die Tür ging auf, und da stand sie, genauso schrecklich schön und gefährlich, wie er sie in Erinnerung hatte.
    »Hallo, Sela«, sagte er.
    Wie lang war es her, acht Jahre? Nein, es müssen mehr sein. Ist das möglich? Balthasar war zu müde, um seinem Gehirn die Rechnerei zuzumuten. Abgesehen davon war es gleichgültig, wie lang es her war. Hier waren sie, und hier war sie – eine Augenweide für sechs wunde Augenpaare. Hier war das Gesicht, für das sie einen Ozean aus Sand überquert hatten, ohne Nahrung oder Rast, indem sie Hebron mit ihren Kamelen in vollem Galopp verlassen hatten, während der Tag in eiskalte Nacht überging, die zu einem grellen Morgen und glühend heißen Tag geworden war. Hier war der Grund, weshalb sie weitergeritten waren, halb tot, auf das gelobte Land Be’er Scheva zu, der letzten nennenswerten Zwischenstation vor dem langen Marsch durch die Judäische Wüste nach Ägypten. Die letzte Gelegenheit, Vorräte aufzustocken. Bei ihrem Ritt hatten sie sich von nichts weiter als der vagen Hoffnung leiten lassen, dass Balthasars Informationen nicht veraltet waren. Dass die Gerüchte, an die er sich klammerte, der Wahrheit entsprachen. Und immer in dem Wissen, dass die Römer nicht weit hinter ihnen waren.
    Doch als die Flüchtlinge die Stadtmauer erreichten, sahen sie, dass das gelobte Land Be’er Scheva eine Einöde war. Anfangs dachten sie, die Römer wären vielleicht erneut schneller gewesen, denn man sah kaum einen Mann oder eine Frau auf den Straßen. Feuerstellen waren zurückgelassen worden und brannten allmählich nieder, und unterernährte Hunde streunten auf der Suche nach Abfällen durch die Straßen. Doch Be’er Scheva war von einer Hungersnot und nicht von römischen Schwertern verwüstet worden. Denn die Ernte war von der einzigen Sache zerstört worden, die Bauern mehr fürchteten als Dürre:
    Heuschrecken.
    Sie waren als schwarze Wolke gekommen. Ein lebender Sturm, halb so groß wie Judäa, der sich quer durch Nordafrika fraß. Zigmillionen seelenloser Augen und unersättlicher Mäuler, die von einem Feld zum anderen flogen, von einem Blatt zum nächsten, und alles auffraßen, womit sie in Berührung kamen. Und obwohl es Monate her war, dass sie durch Be’er Scheva gekommen waren und alles vernichtet hatten, lagen ihre vertrockneten abgestoßenen Häute immer noch überall auf dem Boden verstreut. Die toten Hüllen, die die Heuschrecken abgeworfen hatten, um sich vor dem Weiterziehen zu erneuern. Die Stadt war auch nur noch eine tote Hülle ihrer selbst, jäh und vollständig verwandelt, allerdings ohne Hoffnung auf Erneuerung.
    Die Straßen, die einst so voller Leben gewesen waren, lagen jetzt gespenstisch still da. Leer. Mit der Ernte waren auch die Händler und Kaufleute verschwunden, und mit den Händlern und Kaufleuten die Sklavenhalter und ihre Sklaven. Sie alle waren weitergezogen auf der Suche nach Lebensmitteln und Handelsmöglichkeiten und hatten lediglich eine stark dezimierte Zahl treuer Einwohner zurückgelassen. Bei diesem Anblick war Balthasars vage Hoffnung auf einen Schlag erloschen:
    Sie wird nicht hier sein. Sie wird wie die anderen weitergezogen sein.
    Doch hier war sie.
    Hier war sie, stand am Eingang eines zweistöckigen Hauses, dessen glatte weiße Mauern

Weitere Kostenlose Bücher