Die nachhaltige Pflege von Holzböden
Trägheit überwunden und mir gestern die CD angehört hatte.
»Eine erstaunliche Partitur«, schwärmte Michael. »Sie muss mit höchster Präzision ausgeführt werden, sonst ist der Effekt ruiniert. Das ist Oskars Methode, die Leute dazu zu bringen, dass sie so spielen wie er. Man muss es auf seine Art machen, verstehst du? Wie eine Tram muss seine Musik auf festgelegten Gleisen wiedergegeben werden. Wenn eine Tram verspätet ist, hält sie alle anderen auf, und wenn sie entgleist, ist es ein Desaster, und so gibt es auch in seiner Musik keinen Raum für Improvisation und schon gar nicht für â wie sagt man? â Schlamper?«
»Schlamperei«, sagte ich. »Er hat mir erzählt, dass er an etwas Neuem arbeitet, ähm, âºDeweyâ¹?«
»Ja, haha, dieser Oskar, nie zufrieden, immer will er mehr. Eine Symphonie nach dem Dewey-Dezimalsystem.«
»Was?« Ich musste grinsen. »Eine Symphonie, die auf Deweys Dezimalsystem beruht?«
»Genau.«
»Das Bibliotheken-Katalogisierungssystem?«
»Ja. Was gibt es da zu grinsen? Das ist kein Witz.«
»Kommt mir nur komisch vor, dass man da eine Symphonie drüber schreiben kann.«
Michael schüttelte den Kopf, lächelte nachsichtig über meine Naivität. »Das siehst du falsch. Es ist ein System zur Organisation von allem Wissen der Menschheit. Jedes Wissensgebiet hat seine Nummer, seinen festen Platz: 200 ist die Abteilung Religion, 220 die Bibel, 222 die Genesis, 228 die Offenbarung und die Apokalypse. 500 ist die Abteilung Naturwissenschaften, 520 die Astronomie, 550 die Geowissenschaften, 551 die Geologie, 570 die Biologie und 576 die Genetik und die Evolution. Alpha bis Omega, ein logisches System ohne Widersprüche, in Zehnerschritten. Das Dewey-System ordnet alles. Die ideale Muse für Oskar. Er wird die Welt in Ordnung bringen. Eine Symphonie, die alles umfasst. Eine groÃe Symphonie der Einigung.«
Michaels Lächeln hatte mittlerweile etwas Messianisches. Er kam mir nicht unbedingt wie jemand vor, der Oskars fanatische Ordnungsliebe teilte, doch er wirkte überaus beeindruckt von dem Anspruch, der in der Dewey-Symphonie zutage trat. Der Traum war der von Oskar, aber Michael war offensichtlich zu seinem Apostel geworden. Die Welt, in heimelige Zehnerstufen eingeteilt. Auf den ersten Blick wirkte diese vereinheitlichende Vision groÃzügig und harmonisch, doch es gab auch eine dunklere Seite, denn die Möglichkeit eines Denkens auÃerhalb des Systems war darin nicht vorgesehen. Das System erzwang Konformität. Ãble Ideen hatten in den Bierkellern Mitteleuropas ihren Ausgang genommen, sehr üble Ideen. Das Erdreich um uns her war vollgepackt mit kalten Knochen.
»Verstehst du?«, hakte Michael nach. Ich hatte eine Weile schweigend in meinen Wein gestarrt. Jetzt hob ich den Kopf und begegnete seinem Blick.
»Ja, es ist wirklich sehr clever.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, von dem ich hoffte, dass es nicht gezwungen wirkte. Mein Lob klang schon halbherzig genug. Immerhin war es ja eine gescheite Idee. Ich fragte mich, wo Oskar wohl darauf gekommen war. Sicher in einer Bibliothek. Aber die reine Inspiration schien mir zu spontan für Oskar, zu ungeplant. Vielleicht hatte er die Idee schon immer gehabt, wie alle seine Gedanken, schön durchnummeriert, und hatte nur auf den richtigen Moment gewartet, mit dieser Nummer herauszurücken. Er war schon mit einem vorinstallierten Gedankeninventar zur Welt gekommen, wie ein gut sortierter Karteikasten, und zog dann, je nach Gelegenheit, die passenden Karten heraus. Manchmal wirkte jede Aktion, jede Errungenschaft, jede Beziehung von Oskar wie ein Ornament, das mit Bedacht an strategischen Punkten der Aufwärtsspirale seines Lebens platziert war. Ausbildung, Karriere, Ehe â¦
»Aber irgendwie versagt er ja auch in seinem Job«, merkte ich an.
»Wer?«, wunderte sich Michael. »Oskar?«
»Ja, Oskar. Hast du nicht gesagt, er organisiert sein Leben wie einen Job? Und ich finde, das stimmt, bei ihm läuft alles wie nach Fahrplan. Aber in letzter Zeit ist was schiefgelaufen, er hat die falsche Person eingestellt, und nun wirft er sie raus.«
Michael, der mir stirnrunzelnd zugehört hatte, lachte laut auf. »Sch-schon wahr«, prustete er und lief plötzlich feuerrot an. »Nur dass sie wohl ihn rauswirft.«
»Ja, kann sein«, nickte ich. Die genaueren
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