Die Nachhut
Uniform zittert die ganze Zeit und bringt kein einziges Wort mehr heraus. Es wäre auch kaum zu verstehen, denn aus einem grauen Kasten in der Ecke dringt Lärm wie von hundert Geschützen. Ein Knabe sitzt davor und wackelt mit dem Kopf. Vermutlich ist er geisteskrank. Sein geschlagener Vater hat sich schon zweimal für ihn entschuldigt, den Jungen aber scheint das nicht zu stören.
Auch Josef kann den Blick kaum von der Kisten lassen, in der junge Neger ihre Arme durch die Luft werfen wie Trockenschwimmen Der Pfarrer hält unterdessen immer wieder ein kleines Gerät ans Ohr und spricht damit. Uns will er erzählen, es sei ein Telefon. Allerdings hat das winzige Ding weder Schnur noch Wählscheibe. Wir müssen auch bei ihm vorsichtig sein!
Seine Frau dagegen entzückt mich ganz und gar. Sie schneidet für Otto sogar die Brote klein, als sie mitbekommt, daß er keine Zähne mehr hat. Meine Augen genießen jede ihrer Bewegungen. Sie schlägt die ihren nieder, sobald sie mich ertappt.
Verzeih die kleine Schwärmerei, Liesbeth! Es ist nur - sie ist die erste Frau nach so vielen Jahren und natürlich nicht zu vergleichen mit Dir. Ich werde mich zwingen, sie nicht weiter mit ungehörigen Blicken zu beleidigen, und stenographiere stattdessen wieder mit, was der Pfarrer uns zu sagen hat, wenigstens sinngemäß.
Kuhn ist sein Name und er behauptet beharrlich, nicht zu wissen, wo in der Nähe ein Kommando der Waffen-SS Quartier bezogen hat. Nicht einmal auf die Frage zum exakten Frontverlauf kann oder will er Angaben machen. Teilweise zeigt er völliges Unverständnis (oder heuchelt es) und fragt immer wieder, was wir überhaupt wollen, woher wir kämen, wie er uns helfen könne und dergleichen. Zum Glück stellt immer noch Otto die Fragen!
Warum der Russe mit der Panzerfaust auf ihn gehört habe, zum Beispiel.
Wir sollen ihm doch bitte glauben, fleht der Pfarrer erneut, es gebe keine Russen in der Gegend - nicht mehr jedenfalls. Und die Waffe sei eine Fernsehkamera gewesen. Dabei klopft er auf die Lärm-Kiste. Prompt beklagt sich der Bengel und mault sogar noch, als er auf sein Zimmer geschickt wird. Sein Vater muß erst »bitte« sagen - also wenn das meiner wäre!
Jetzt aber Galopp, brüllt Otto dazwischen, der Junge soll gefälligst tun, was sein Vater befiehlt. Und als hätte bloß noch nie jemand im richtigen Ton mit ihm gesprochen, springt der verzogene Bursche sofort auf und verschwindet im Laufschritt. Josef soll außerdem endlich das verdammte Ding zum Schweigen bringen, doch er weiß nicht recht wie. Drücken, ruft der Pfarrer, einfach drü...
Entschuldige die kurze Unterbrechung, aber Josef hat tatsächlich abgedrückt, ein Schuß aus der Hüfte, mitten hinein. Infernalisch laut implodierte die Kiste wie ein getroffenes U-Boot. Noch immer zischt und blitzt es darin. Der Pfarrer stammelt, er hätte den Knopf am Gerät gemeint. Welchen Knopf? Ich fürchte, wir reden ständig aneinander vorbei. Und dann, als wäre das Chaos noch nicht perfekt, taucht auch noch ein junger Kerl am Fenster zum Garten auf. Er trägt genau so ein Ding bei sich wie der Russe vorhin am Tor und will flüchten. Josefs Schuß muß ihn auf geschreckt haben, aber nach einem weitern Warnschuß in die Luft bleibt er sofort stehen. Sein Glück.
Nachdem ihn der Jude ins Haus geführt und durchsucht hat, behauptet er mit dünner Zitterstimme, für den Tonfilm zu arbeiten. Aber Otto brüllt erst mal den Pfarrer an, der immer noch über das kaputte Gerät jammert: Kuhn solle die Schnauze halten und den Leuten vor der Tür mitteilen, daß bei der nächsten Annäherung sofort eine Geisel erschossen werde. Der Pfarrer zögert. Mir ist auch der Verschwörer-Blick nicht entgangen, mit dem er den jungen Mann begrüßt hat - vorwurfsvoll einerseits, aber auch so, als würden sie sich kennen.
Seinen Namen gibt der Kerl mit Monse an, trägt ein buntes Unterhemd (mit Ärmeln!) und eine Hose, an der die Taschen außen sind. Selbst wenn er wirklich nur für die Propaganda arbeitet: Er hat keinerlei militärische Umgangsformen, ist unrasiert und verhaspelt sich ständig vor Aufregung.
Otto muß ihm jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen und glaubt ihm offenbar jedes zweite: Angeblich fertigt Monse Berichte von der Front, das würden wir doch auch aus der Wochenschau im Kino kennen. Auf Ottos Frage, wo welche Truppen stehen, eiert er allerdings auch nur herum: Das sei nicht so einfach, ziemlich unübersichtlich momentan und so weiter. Dann versucht er,
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