Die Nachhut
sich mit Gegenfragen aus der Affäre zu ziehen.
Zum Beispiel fragt er (höchst verdächtig für mein Gefühl), zu welcher Einheit wir gehören und ob wir schon länger abgeschnitten seien. Das kann er unmöglich wissen! Otto aber, der alte Trottel, gibt dem mutmaßlichen Agenten beinahe recht und schließlich sogar zu, daß wir uns nach großen Verlusten aus der geheimen Anlage zurückziehen mussten.
Das kann man allerdings sagen. Josef und Konrad kauen zustimmend. Nun halte ich es auch nicht mehr aus und greife zu. Ein Schinkenbrot! Frau Kuhn lächelt zärtlich.
Vor der Tür richtet ihr Mann den Leuten auftragsgemäß aus, daß sie sich fernhalten sollen, am besten hundert Meter. Kuhn klingt ehrlich, verschweigt aber den klar angedrohten Waffengebrauch. Ob er außerdem irgendwelche Zeichen macht, können wir durch die Fenster nicht erkennen.
Unterdessen fängt der angebliche Frontberichter einfach an, sein Gerät aufzubauen. Unbegreiflich, daß Otto ihn nicht daran hindert, sondern lieber fragt, was das für eine Uniform sei. Kamerad Monse, der höchstens Gefreiter ist, schaut an sich herunter und tut einmal mehr so, als wäre er unserer Sprache nicht mächtig. Es reicht. Ich muß selbst etwas unternehmen und deshalb vorerst schließen. Bin ich denn der Einzige, der hier noch klar sieht?
Anfangs sträubten sich die Zombies noch ein wenig, dann siegte die Eitelkeit doch. Einer schrieb zwar sowieso ständig jedes Wort mit wie ein Spitzel, aber was ist das schon gegen ein echtes Interview mit bewegten Bildern? Erst später habe ich in der Abschrift ihren Stimmen die richtigen Namen zugeordnet. Sonst ist es wörtlich genau so gelaufen. Wenn du es liest, Evelyn, vergiss bitte auch nicht, dass es das erste Interview meines Lebens war, das ich vollkommen alleine führte.
Abschrift Tape-Nr: 2, Tca: 00:00:00:00,
Material: Digi-Beta,
AUTOR: Benjamin Monse Sendeform: OT/Interview/Bericht
Autor (off): Okay, nein, Momentchen noch, das Licht von hinten. Frau Kuhn, könnten Sie die Stehlampe noch etwas näher zu mir ... ja, genau, noch ein Stück. Ganz genau. Danke. Herr ... - Entschuldigung, jetzt habe ich den Namen schon wieder ...
Stimme Eins: Böttcher, Otto Böttcher.
Genau. Haben Sie sich inzwischen geeinigt, wer spricht? Otto: Selbstverständlich. Ich rede, ist doch klar.
Stimme Zwei (Josef Stahl): Schon dich lieber, Otto!
Otto: Maul halten, Stahl!
Meine Herren, wir können das alles ganz in Ruhe machen. Jeder kann etwas sagen, Hauptsache der Reihe nach.
Stimme Drei (Fritz von Jagemann): Und Sie behaupten, das kommt dann wirklich genau so in der Wochenschau? Natürlich. Vor dem Hauptfilm, in jedem deutschen Kino. Die Leute zu Hause wollen doch wissen, wie Ihre ...
Stimme Vier (Konrad Hoppe): Kann ich auch meine Frau grüßen?
Grüßen, winken, was Sie wollen ... Können wir dann ?
FRITZ: Und das Propagandaministerium genehmigt das vorher?
Selbstverständlich. Also: Kamera läuft schon. Am besten sagen Sie gleich noch mal, wer Sie sind, wie alt und so weiter!
OTTO: Jetzt? Ja, also ... Böttcher, Otto; 1. SS-Division, 5. Stabskompanie, Wachbataillon. Mein Alter? Augenblick ... Stahl!
JOSEF: Hier!
OTTO: Wie alt bin ich genau?
FRITZ: Otto, meinst du nicht, es sollte vielleicht...?
OTTO: Für dich immer noch Sie, Jagemann! Und du redest nur, wenn ich es befehle. Alle mal herhören - neuer Befehl: Ab jetzt spricht von Jagemann.
FRITZ: Danke, Reichsführer. Mein Name ist Fritz von Jagemann, Jahrgang 29, ebenfalls Fünfte, Wachbataillon, LSSAH. Entschuldigung: Aber können wir bitte alle Abkürzungen weglassen oder aussprechen - ich meine: Die Leute draußen können sonst vielleicht nicht viel damit anfangen.
Fritz: Aha, na gut.
OTTO: Aber, junger Kamerad: Wer soll denn das nicht wissen? Die Leibstandarte! Das müsste doch ...
Fritz: Schon gut, Otto. Also LSSAH ist natürlich die Abkürzung für die Leibstandarte unseres Führers Adolf Hitler.
Natürlich. Ich dachte ja nur, unsere jüngeren Zuschauer. Also weiter: Jahrgang 1929. Dann sind Sie sind jetzt also ...
FRITZ: 75 Jahre, richtig.
... und waren bei Kriegsende - Moment - noch nicht einmal 17...
JOSEF: Kriegsende? Was soll das heißen: Kriegsende?
Ich meine 45, die Befreiung, also die Kapitulation - wenn Sie wollen - auch die Niederlage.
FRITZ: Junger Mann, was reden Sie denn da? Otto, sollen wir diesen Mist nicht doch lieber beenden? - Otto? - Otto!
KONRAD: Lass gut sein, Fritz, er ist eingeschlafen. Eingeschlafen ? Aber eben hat er doch
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