Die Nachhut
den großen Augen der Dorfpolizisten neben Enttäuschung auch so etwas wie neugierigen Respekt: Wer konnte das sein? Schneller als das SEK und in einem Hubschrauber der Regierungsflugbereitschaft? Einer kam mir sogar die letzten Meter geduckt entgegen, hielt seine Mütze fest, aber wusste dann nicht mehr so recht, was er sagen wollte, bis Schiller das Megafon sinken ließ und ihm half.
»Das ist Frau Dr. Thorwart vom BKA. Die Polizeidirektorin führt ab jetzt das Kommando.«
Der Polizist war ziemlich korpulent, nicht mehr der Jüngste, aber erstarrte vor Ehrfurcht. Er trug selber drei Pickel auf der Schulter und weil ich mit den Dienstgraden noch nicht zurechtkam, nickte ich ihm freundlich zu, was ihm Mut machen sollte aber nichts nutzte: Das Entsetzen wollte nicht mehr aus seinem runden Gesicht weichen und noch mehr als vor mir schien er sich vor meinen Entscheidungen zu fürchten.
»Ja, also, Hauptmeister Drews«, stotterte er und es sollte wohl so etwas wie eine Meldung werden: »Ich bin hier der Schichtführer, Revier Wittstock. Es handelt sich um mindestens vier Geiselnehmer, bewaffnet, und vermutlich drei Geschädigte. Wir haben keinen Kontakt. Das SEK ist alarmiert.«
Nach Schillers Informationen würden die Spezialkräfte aus Potsdam noch mindestens eine halbe Stunde brauchen. Vor Ort hatte man bereits alle Kräfte zusammengezogen.
»Und warum stürmen wir nicht einfach selbst?«
»Dafür sind wir zu wenig«, belehrte mich Schiller, »außerdem ist das verboten, ohne SEK.«
Meine Frage war ernst gemeint und hatte Drews den nächsten Schreck eingejagt. Ich wusste nicht, ob es der Vorschlag an sich war oder die Tatsache, dass man mir erstmal die Dienstvorschrift erklären musste, die ich ebenso wenig verstand.
»Aber die haben doch Menschen in ihrer Gewalt!«
»Eben.«
»Und was darf man dann als Polizist überhaupt?«
»Gute Frage«, stöhnte Schiller, »die nächste bitte!«
Ich hätte ihm schon wieder an die Gurgel gehen können, gar nicht so sehr wegen seines Tonfalls, sondern weil mich das wirklich ärgerte: Wozu dann Pistolen und das ganze Zeug? War es wirklich so naiv zu glauben, Polizisten gingen sofort dazwischen, wenn Menschen in Gefahr sind? Offenbar ja.
»Eigensicherung geht immer vor«, erklärte Schiller, beugte sich mit einem gekünstelten »Apropos« in einen der Wagen und drückte mir eine kugelsichere Weste in den Arm.
Bei den Kollegen in Uniform machte sich Erleichterung breit. Sicher kannten sie die zitierte Dienstvorschrift auswendig und hielten sich an keine andere lieber. Die ganze Sache wirkte eine Nummer zu groß für ihr Revier. Mal ein Sparkassenräuber mit Spielzeugpistole, vielleicht noch ein Brandanschlag auf den vietnamesischen Gemüsehändler - das war ihr tägliches Geschäft. Wenn es ganz schlimm kam, waren ihre eigenen Söhne dabei oder die Leiche eines arbeitslosen Nachbarn baumelte in der Scheune. Aber eine bewaffnete Geiselnahme hatte es in dieser Gegend bestimmt seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gegeben.
Meine Leute hatten bereits begonnen, die Dorfbewohner zu vernehmen. Ich zog mir die schwere Weste über den Kopf. Schiller wollte Hand anlegen, aber als ich ihn anbellte, er solle die Pfoten wegnehmen, wich er sofort ein paar Schritte zurück und grinste nur noch blöd, als hätte ich ihn durchschaut. Zwei Reporter, die mir vorher unter den anderen Schaulustigen noch gar nicht aufgefallen waren, nutzten die Gelegenheit und kamen auf mich zu. Einer hatte die Kamera schon oben, seine junge Kollegin nannte ihren Namen und kannte meinen.
»Frau Thorwart, können Sie schon etwas zu den Tätern sagen? Wieso ist die SoRex überhaupt vor Ort?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich und wusste sofort, dass die ehrlichste nicht die beste aller möglichen Antworten gewesen war. Doch die Kamera lief, das Mikrofon hatte mich überrumpelt und verlangte mehr. Zum Glück war Schiller zur Stelle:
»Die hiesige Polizeidirektion hat uns angefordert, ein ganz normaler Vorgang. Mehr können wir momentan noch nicht sagen. Ermittlungstaktik - das verstehen Sie sicher! Danke.«
Danach zog er mich ein paar Schritte zur Seite und flüsterte hastig, dass in der Öffentlichkeit vor allem kein Zusammenhang mit der Autobahn hergestellt werden dürfe.
»Wieso«, fragte ich, »stellen wir denn einen her?«
Seine erhobenen Schultern konnten alles bedeuten, vielleicht auch nur, dass er nicht weiterreden wollte, weil uns die Journalisten schon wieder auf die Pelle rückten. Vor
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