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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Kopf stützte und die groteske Szene im Ganzen drehte.
    Die ersten Leute stellten ihre Einkäufe ab, weil sie ein längeres Spektakel erwarteten, neue drängten nach vorn, und wenn Passanten aus Versehen zwischen die Fronten gerieten, beschleunigten sie schnell ihre Schritte. Beinahe unbemerkt arbeiteten wir uns von hinten näher ran und konnten unterwegs sogar ein paar Kommentare aufschnappen.
    »Ob die Knarren echt sind?«
    »Ist der Große nicht euer Feuerwehrchef in Herzsprung?«
    »Nee, unmöglich, der ist doch letztes Jahr gestorben.«
    »Cool«, sagte ein etwa 14jähriger Junge.
    »Und was sollen das für Uniformen sein?«
    »Irgend so ein Traditionsverein ...«
    »Könnte man sagen«, sagte ein Mann, der alt genug war, um zu wissen, wovon er sprach, »das ist Waffen-SS.«
    »Sag ich doch!«, echauffierte sich sein Nebenmann.
    Nur eine Frau schien den Auflauf nicht wahrzunehmen, lief zielstrebig auf den Vietnamesen zu und begutachtete dessen Ware. Als Konrad sie ansprach, warf sie einen Pullover zurück auf den Tapeziertisch und bahnte sich schnell einen Weg durch die Zuschauer an uns vorbei. Es war keine Angst in ihrem Gesicht, eher Empörung, als hätte sie ein Punk wegen etwas Kleingeld belästigt. Verlegen sah ihr Konrad nach. Der Vietnamese lächelte höflich. Ihn hätte Konrad sicher alles fragen können, nur woher sollte er wissen, wie die freundlichsten Brandenburger heutzutage aussehen?
    »Was soll’n das werden, wenn’s fertig ist?«
    Ein etwa 50jähriger Mann mit Fahrrad hatte sich ein Herz gefasst und das allgemeine Gemurmel verstummte sofort. Konrad konnte den Rufer in der Menge nicht gleich ausmachen, aber humpelte zwei Schritte näher auf sie zu.
    »Nicht einmischen«, zischte Busch, der meine Unruhe spürte, »noch nicht!« Er zog den Zoom voll auf, sprang von dem Papierkorb und hielt die Kamera auf Kniehöhe, während er leicht gebückt den Halbkreis ablief, die Gaffer im Rücken und Konrad im Fokus, der sich davon nicht irritieren ließ.
    »Wir suchen die Kommandantur hier vor Ort, Wehrmacht oder Waffen-SS, ganz egal. Wo finden wir die?«
    »Meinst du vielleicht die Ortskrankenkasse, du Spinner?« Das war wieder der Mann mit dem Fahrrad, und nachdem er die feixende Meute auf seiner Seite wusste, setzte er gleich noch eins drauf: »Wo seid ihr denn ausgebrochen?«
    Konrads Augen irrten zwischen den Gaffern und seinen eigenen Leuten hin und her, Wut und Hilflosigkeit darin, den Tränen nahe. Er tat mir leid, aber ich musste mich erstmal um einen Kollegen kümmern, der mit einer Kamera über den Platz gerannt kam. Noch im Lauf legte er eine Kassette ein. Es war keine Profikamera, so viel konnte ich von weitem erkennen, eher so ein Mittelding, wie es ambitionierte Amateure bei offenen Kanälen gern verwenden - aber schlimm genug.
    Während Konrad seine Frage wiederholte und sich um einen schärferen Ton bemühte, hängte ich Jenny den Tonmischer um und deutete in die Richtung, aus der die Konkurrenz nahte.
    Natürlich konnte ich dem Typen nicht einfach sagen, dass dies unsere Story war. So leicht lassen sich heutzutage selbst Hobbyreporter nicht mehr davon abhalten, ihre Zufallsbilder in alle Welt zu verticken. Ich musste ihn aus Versehen umrempeln und fummelte - nachdem er wieder auf den Beinen war - solange an seiner Kamera herum, bis ich mich überzeugt hatte, dass alle Knöpfe noch dran, aber sein Akku geklaut war. Während er meine hilfsbereiten Hände höflich abwehrte, entwickelte sich hinter uns ein Tumult, den ich nur nebenbei mitbekam - er aber gar nicht, das war die Hauptsache. Jenny und Busch waren exklusiv dabei. Und ich sorgte dafür, dass es so blieb.
    Mit dem fremden Akku im Ärmel entschuldigte ich mich ein letztes Mal und sah, dass die Zuschauer Konrad bereits bis zu seinen Kameraden zurückgedrängt hatten. Immer enger schloss sich der Kreis. Wie irgend so ein Kessel in Russland, dachte ich, doch das Grinsen gefror mir, als Fritz schrie, er würde jeden erschießen, der noch einen Schritt näher käme. Dem Raunen nach nahmen ihn die Leute ernst und wichen zurück. Dann aber verpuffte die Drohung in einem einzigen Satz.
    »Das ist doch versteckte Kamera oder so«, rief der Wortführer mit dem Fahrrad und alle nickten erleichtert: »Natürlich!« - »Genau!« So musste es sein, sonst wäre ja auch das Fernsehen nicht da! Die Leute lachten und drängelten sich selbst vor die Kamera. Die ersten begannen, ihren Verwandten zu winken.
    Auf einmal standen Busch und Jenny im

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