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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Mittelpunkt - und die vier SS-Männer noch verstörter im Abseits. Jenny wurde ständig gefragt, wann das denn aus gestrahlt würde. Ich machte ihr von hinten Zeichen zum Rückzug und ging vorsichtig auf Fritz zu.
    »Bitte«, flüsterte ich, »wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen: Entweder Sie kommen sofort mit oder werden gleich wieder eingekesselt. Also?«
    Alle vier schwiegen mich vorwurfsvoll an. Ihre Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen, aber man konnte die rostigen Rechenmaschinen hinter ihren Stirnen beinahe rattern hören. Dann nickte Fritz, der offenbar die Führung übernommen hatte.
    Die fröhliche Meute verkrümelte sich langsam, kümmerte sich wieder um Einkäufe, ein Teil aber folgte Busch und Jenny immer noch quer über den Markt. Wir liefen einfach hinterher. Niemand wunderte sich mehr oder störte sich gar an der Idee von vier kostümierten Nazis als Lockvögel für einen Scherz. Alle schienen nur froh über die einzig plausible Erklärung: Fernsehen eben. Und als sie in den Van stiegen, klopfte man den vermeintlichen Darstellern noch einmal anerkennend die Schultern.
    Jenny quetschte sich neben Josef auf den Beifahrersitz. Konrad und Fritz wuchteten Otto auf die Rückbank, während ich versuchte, den sperrigen Sessel im Kofferraum unterzubringen. Er passte nicht ganz. Hektisch zerrte ich ein Verlängerungskabel von der Trommel und zurrte ihn damit notdürftig an einer Kopfstütze fest. Die Klappe musste halb offen bleiben.
    »Fahr los«, rief ich, die Schiebetür noch in der Hand.
    Doch Busch saß mit verschränkten Armen hinter dem Steuer.
    »Es geht nicht anders! Bitte! Jetzt mach schon!«
    Wütend würgte er einen Gang rein und ließ die Reifen quietschen. So war er noch nie mit seinem neuen Wagen umgegangen. Aber er hatte ja auch noch nie eine Fuhre Nazis geladen. Mann, dachte ich, nach dieser Nummer würde ich mir endgültig einen neuen Job suchen müssen.
    29. MÄRZ/III Jetzt weiß ich, was mir an den Kameraden von der Wochenschau schon die ganze Zeit komisch vorkommt:
    Es ist nicht nur ihre verdächtige Art zu reden oder der respektlose Umgang mit Vorgesetzten. Als sie uns in ihren Kraftwagen halfen, habe ich den entscheidenden Unterschied bemerkt: Sie haben Kraft und Energie. Deshalb bewegen sie sich auch anders, reden und sehen anders aus als wir. Sie sind jung.
    Das ist es: Wir sind alt geworden, Liesbeth, und haben es nicht mal bemerkt. Wir hatten ja über all die Jahre keinen Vergleich. Ist das nicht merkwürdig? Da haben wir doch tatsächlich vergessen, daß es verschieden alte Menschen gibt - nicht von der Logik her (denk nur Otto mit seinen Gebrechen!), aber rein äußerlich. Sie haben uns nun schon zum zweiten Mal vor dem Feind gerettet. Dabei könnten zumindest das Mädel und Monse, dieser Teufelskerl, unsere Enkel sein!
    In der Stadt haben wir auch Leute wie uns gesehen, es war sogar die Mehrheit. Aber glaube bloß nicht, ich hätte sie als Altersgenossen wahrgenommen! In meinen Augen waren sie alle viel älter, gebeugte Menschen mit Stöcken und weißen Haaren, lauter Greise, die selbstredend keine Verwendung mehr an der Front finden. Wieso, frage ich mich auf einmal - natürlich nur insgeheim - gilt das nicht auch für uns?
    Die Jungen seien allesamt im Westen, hat mir Monse gerade erklärt, und das klang, als hätte man den deutschen Osten schon komplett aufgegeben. Für die meisten gehe es ums nackte Überleben, sagte er, aber hatte dafür nur ein bedauerndes Schulterzucken übrig. Offenbar fliehen die Menschen nicht mehr nur vorübergehend vor Russengreuel und Hunger. Ganze Landstriche, von Vorpommern bis tief nach Mitteldeutschland hinein sollen bereits weitgehend entvölkert sein. Möglicherweise erklärt das die desolate und auch für uns zuweilen recht unübersichtliche Lage im hiesigen Hinterland.
    Unser Rückzug aus Wittstock ähnelte eher einer Flucht. Ringsum soll alles abgeriegelt sein - ein Kessel wie Stalingrad, so hat es Monse düster angedeutet, als wir vor etwa einer Stunde in einem Waldweg Stellung bezogen. Seitdem beraten sich die Kameraden von der Wochenschau draußen. Es sieht aus, als hätten sie Streit oder keine klare Kommandostruktur - genau wie wir, wenn man mal ehrlich ist. Wir aber wahren wenigstens die Form, wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn sie haben uns mit schwarzen Gurten an die Sitze ihres Autos gefesselt.
    Meiner Meinung nach sollten wir uns erstmal wieder zurückziehen. In DB 10 wären wir sicher, waren es immer. Aber Otto ist

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