Die Nachhut
mindestens 20 Jahre her. Wir hatten uns irgendwann Anfang der 80er Jahre kennengelernt, als Busch gemeinsam mit einem Autor die DDR bereist hatte, um einen heimlichen Film über Antisemitismus im antifaschistischsten Land der Welt zu drehen. Westberliner Freunde hatten den Kontakt zu mir vermittelt - und ich ihnen geeignete Schauplätze und Interviewpartner. Im Wesentlichen waren sie danach meinen Fahrplan allein abgefahren, aber unter der lächerlichen Legende, sie würden eine Reportage über gastronomische Spezialitäten drehen, hatten wir uns auch mehrmals heimlich auf eine Soljanka getroffen und die zuständigen Behörden hatten nichts gerochen. Nach der Wende waren wir uns auf anderen Schlachtfeldern wieder begegnet, zwischen den Wasserwerfern von Gorleben zum Beispiel oder an kalten Buffets in Bonn. Später, in den Berliner Jahren hatten wir uns dann aus den Augen verloren.
Noch hätte ich aufstehen und mich einfach für mein Personengedächtnis entschuldigen können. Sicher hätte er verstanden, dass der Druck dieser Tage verheerende Spuren auf meiner Festplatte hinterlassen hatte. Vielleicht hätte man sogar, wie früher, zusammenarbeiten können. Die Frage war nur, ob wir überhaupt noch auf der gleichen Seite standen?
Im Fernsehen hörte es sich nicht so an. Der Bericht strotzte nur so vor Häme für die Polizei und vermutlich hattet ihr keine Ahnung, was es allein außenpolitisch anrichten würde, das so genannte Interview in voller Länge auszustrahlen. Danach - so die Ankündigung - sollte auch noch eine Expertenrunde darüber diskutieren.
Das wirre Gestammel aus dem Pfarrhaus kannte ich schon. Schiller hatte das Band über seine Kanäle vorab aus der Redaktion besorgen und abschreiben lassen. Dennoch war es etwas völlig anderes, die vier Schießbudenfiguren selbst reden zu hören und ihre Masken zu sehen. Sie gaben sich wirklich alle Mühe, wie vertrottelte Nazis zu wirken, älter zudem, als von allen Augenzeugen beschrieben. Beinahe echt.
Wie bei einem schlechten historischen Film konzentrierte ich mich nach Kräften auf Fehler, verräterische Worte oder Gegenstände im Hintergrund, die es damals noch nicht gegeben haben konnte. Aber sie hielten ihre Rollen eisern durch. Allein der Ausstatter hätte einen Oskar verdient: Jeder Knopf, jedes Abzeichen, jede Falte in den abgewetzten Mänteln und Gesichtern - für eine Farce war es wirklich perfekt gemacht.
Ihre Entlarvung war einer Studiorunde aus hastig zusammentelefonierten Fachleuten vorbehalten. Auch sie waren teilweise schon vor der Sendung von unseren Leuten vernommen worden und ihre Urteile reichten von »völlig ausgeschlossen« bis »schwer vorstellbar«. Ganz anders nun im Fernsehen: Fassungslos musste ich zusehen, wie zuerst ein Gerontologe darüber orakelte, dass es »aus rein medizinischer Sicht« überhaupt kein Problem sei, unter Tage so lange zu leben, genug Bewegung und Vitamine vorausgesetzt. Die nötigen Präparate hätte es in den 30er Jahren schon gegeben. Nach allem, was er gesehen hätte, könne auch ihr Alter stimmen. Zu ihrem Geisteszustand nach fast 60 Jahren auf engstem Raum und ohne Tageslicht sollte ein Psychiater Auskunft geben. Doch dessen Statement reichte gerade, um seinen Namen einzublenden. Ansonsten wollte Dr. Worch lieber »keine Ferndiagnose« stellen. Und wie immer, wenn in geselliger Runde im Nebel des Dritten Reiches gestochert wurde, durfte natürlich auch mein alter Freund Zeitz nicht fehlen.
Professor Zeitz war Historiker, gern und oft im Fernsehen und - wie die meisten Experten auf diesem Gebiet - selbst Nazi genug, um regelmäßig zu behaupten, man könne sich auch rein wissenschaftlich damit beschäftigen. Ich kannte ihn persönlich aus mehreren Podiumsrunden und ließ in seinem Fall nicht mal mehr die Einschränkung »verkappt« gelten. Wenn einer schon die Wehrmacht sein Steckenpferd nennt oder den Führer nur »den Führer«. Einmal hatte er sich mir gegenüber sogar zu der Forderung verstiegen, die Vergangenheit unvoreingenommen untersuchen zu dürfen. Unvoreingenommen! Niemand wühlt ewig in der Scheiße, ohne braune Finger zu bekommen.
Einer in der Runde saß hinter einer Leinwand. Nur sein Schattenriss war darauf zu sehen, und ich traute es dem Sender ohne weiteres zu, auch schon einen der Verdächtigen im Studio zu haben. Das wäre dann an Schiller und seinen Kontakten, mit denen er sich so gern brüstete, vorbeigegangen. Ich freute mich schon auf sein Gesicht beim Frühstück. Doch leider
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