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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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genommen: Ist doch nur ein Symbol, Mann, ein altes, verrostetes Zeichen, eine harmlose Antiquität. Der Krieg ist vorbei, Mann! Krieg dich wieder ein!
    Entweder hatte ich ihn kalt erwischt oder er musste sich schon die ganze Zeit schwer zusammengerissen haben. Das Hakenkreuz auf der Tasche war offenbar eins zu viel für ihn, und ich fragte mich, wieso er sich so viel schwerer damit tat als ich. Wir hatten die Zeit beide nicht erlebt. Uns war der gleiche Ekel anerzogen. Der einzige Unterschied war vielleicht, dass meine Generation den Ekel schon verinnerlicht hatte, während seine noch die Möglichkeit gehabt hatte, sich gewissermaßen live vor Eltern, Lehrern und anderen Altlasten zu ekeln und sie anzuprangern. Aber machte das wirklich so einen Unterschied?
    Mein Entsetzen über sein Entsetzen reichte jedenfalls, um ihn nicht auch noch mit dem Inhalt der Tasche zu erschrecken.
    »Schmeiß bloß diesen Mist weg«, knurrte Gerd, als er sich etwas beruhigt hatte - ohne Auto hätte ich morgen noch genug zu schleppen. Aber ich dachte gar nicht daran und hatte sein Keuchen wohl überbewertet. Er dachte doch nur an seine Karre. Der Mond meinte es gut mit uns. Zu Fuß und ohne Regen erkannten wir sogar die eine oder andere Weggabelung wieder und betraten nach nur knapp zwei Stunden die Pension in Gossow. Die Wirtin hatte sich unterdessen auch erholt und war wieder ganz die alte, dicke Unfreundlichkeit in Person.
    »Ach nee!« So begrüßte sie uns und zeigte gleich auf unsere Taschen, die gepackt hinter ihrem Tresen standen: »Morgen hätt ick den Mist beim An- und Verkauf jebracht.«
    Gerd hatte schon Luft geholt, um ihr ordentlich Bescheid zu sagen, da muss er dich entdeckt haben, denn sonst waren keine Gäste mehr da. Du gabst dir in deiner Ecke alle Mühe, uns nicht zu sehen, die Augen stur auf dem Fernseher über der Theke gerichtet. Im Nachhinein muss ich sagen, hast du dir auch mir gegenüber wirklich lange nichts anmerken lassen. Eher kam es mir so vor, als wärst gerade du auf Distanz bedacht.
    Jenny schob Gerd beiseite und bedankte sich bei der Wirtin:
    »Wirklich nett, dass Sie schon für uns gepackt haben, aber wir würden gern noch eine Nacht bleiben.«
    »Is aber nur noch ein Zimmer da. Ne Luftmatratze könnt ick noch anbieten, wenn’s sein muss. Aber diesmal Vorkasse.«
    Sie knöpfte uns dafür noch einmal den gleichen Preis ab wie für die drei Einzelzimmer der Nacht zuvor. Gerd knallte wütend ein paar Scheine auf den Tisch und verlangte eine Quittung. Sie stöhnte affektiert, aber da hörten wir schon Otto Böttcher aus dem Fernseher schnarren - mein erstes Interview, endlich. Wir ließen unsere Taschen wieder fallen, setzten uns in deine Nähe, um auch möglichst nah an der Glotze zu sein. Und ich glaube - nein, ich weiß es genau - da hast du zum ersten Mal zurückgelächelt, auch wenn es eher höflich wirkte und nicht wirklich wie von Herzen.
    In Wirklichkeit wäre ich am liebsten unter den Tisch getaucht: Nichts gegen dich, aber ihr hattet mir gerade noch gefehlt. Ich fühlte mich so schon nicht besonders wohl in meiner Haut nach diesem Tag und in dieser Kneipe erst recht nicht.
    Die Stammgäste waren demonstrativ aufgestanden, als wir eine Stunde zuvor hier eingefallen waren. Schiller hatte zwei der drei belegten Zimmer einfach requiriert. Anders als ihm und der Wirtin war es mir ziemlich unangenehm gewesen, das Gepäck fremder Leute aus den Zimmern zu schleppen. Ohne zu ahnen, wem es gehörte, hatte mich lediglich der Umstand getröstet, dass sie offenbar abgereist waren, ohne zu zahlen.
    Schiller, der Streber, war sofort im Bett verschwunden. Er hatte sich schon die letzte Nacht an der Autobahn um die Ohren geschlagen. Und obwohl ihm die überstürzte Abreise der anderen Gäste im Zusammenhang mit den Vorfällen vor Ort höchst verdächtig vorgekommen war, hatte er nicht einmal mehr die Energie aufgebracht, ihre Personalien zu überprüfen. Hätte er euch hier gesehen, wäre er sicher endgültig übergeschnappt.
    Immer wieder hatten sie die Sondersendung zum Geiseldrama reißerisch angekündigt. Nun musste ich mir den Scheiß ausgerechnet mit denen ansehen, die dafür verantwortlich waren. Wir würden nicht gut aus sehen dabei, so viel war vorher klar, ich vor allem in dieser unförmigen Weste!
    Und die Sache mit Gerd Busch war mir fast genauso peinlich.
    Der alte Haudegen schaute ständig herüber, als hätten wir uns erst gestern in einer ähnlichen Kneipe eine Bockwurst geteilt. Dabei war das

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