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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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höchstens vier.«
    »Könnte man denken, in der Tat!« Er strahlte und schien auf einmal jede Scheu zu verlieren. »Sie könnten jedoch auch einfach beide Türme opfern und mit dem Springer über G4 angreifen. Was halten sie davon?«
    Das mochte ein Ausweg sein, war aber für meinen Horizont schon zu viel. »Mhm«, sagte ich deshalb und versuchte den wilden Bewegungen zu folgen, mit denen er die Figuren verschob, bis er sie plötzlich mit einem Handstreich vom Brett fegte.
    »Vielleicht ein andermal. Jetzt ist dafür keine Zeit. Wie heißen Sie mit Vornamen, Kamerad Monse?«
    »Benny«, sagte ich überrascht, »also eigentlich Benjamin.«
    Noch einmal kehrte das alte Misstrauen in seine Augen zurück: »Ist das ein hebräischer Name?«
    »Keine Ahnung. Warum?«
    Er musterte mich lange, bevor er sich schwerfällig auf den Boden kniete und eine grüne Munitionskiste unter dem Bett hervorzerrte. Einen Moment rechnete ich damit, er würde gleich eine Handgranate zünden. Aber dann quollen aus der Kiste nur jede Menge alte Schreibhefte und Mappen, mindestens 30 Stück, abgegriffen, vollgeschrieben. Altpapier.
    »Hier steht alles drin«, erklärte Fritz von Jagemann seltsam feierlich, »jeder Befehl, jede Auszeichnung, jeder Tote.«
    Beim Aufstehen stützte er sich auf die übervolle Kiste, klappte den Deckel aber sofort wieder zu und ließ sich darauf nieder, als wäre er schon zu weit gegangen und müsste seinen Schatz bewachen. Etwas arbeitete in ihm. Ich konnte nur raten:
    »Sollen wir sie mitnehmen?«
    Dankbar blitzten seine Augen auf, dennoch zögerte er.
    »Es ist nur ... teilweise sehr intim. Briefe, Tagebücher, verstehst du, manche Sachen auch nur für Vorgesetzte.«
    »Also geheim - aber auch wichtig, oder?«
    Er nickte und hatte mich offenbar nicht aus Versehen geduzt: »Versprich, dass du nicht selbst darin liest, bis ...« Scheinbar wusste er selbst nicht, welche Frist er setzen sollte, woraus ich mir später eine gewisse Rechtfertigung für den Vertrauensbruch konstruierte.
    »Das Problem ist«, flüsterte er, »ich kann nicht einschätzen, was davon noch geheim ist und was nicht. Das müssen andere entscheiden. Falls mir etwas zustößt, ich meine, falls wir fallen oder in Gefangenschaft geraten - musst du dafür sorgen, dass es in die richtigen Hände gelangt.«
    Er zauberte ein Vorhängeschloss aus der Hosentasche und versuchte, die Kiste zu schließen, doch dafür war sie viel zu voll. Wir schleppten sie halb offen über Gänge und Treppen bis zum Van. Dort probierte er es noch einmal. Es konnte nichts werden. Argwöhnisch schaute er zu, wie ich einfach fünf Hefte herausnahm. So ging der Deckel wenigstens zu, das sah er auch ein und rannte in den Bunker zurück. Mit einer Aktentasche aus Leder kam er wieder, nahm mir die fünf Notizbücher hastig aus der Hand, legte sie zurück und suchte stattdessen sorgfältig fünf andere für die Tasche aus.
    »Muss schon alles seine Ordnung haben«, sagte er und erklärte, dass diese fünf ausschließlich Briefe seien, die er nicht abschicken konnte. Er sah zufrieden aus: »Vielleicht ist diese Trennung sogar korrekter: Also die Ordonanztasche für Elisabeth, Elisabeth von Jagemann - kannst du dir das merken? Und die Kiste in das SS-Oberkommando.«
    »Sicher«, sagte ich und konnte es kaum erwarten, darin zu stöbern, »kein Problem.«
    Er drückte mir die Aktentasche an die Brust, legte sie mir förmlich ans Herz und sah mir dabei noch einmal tief in die Augen. Erst als Josef schreiend angelaufen kam, begannen sie wieder zu flackern.
    »Büchsenöffner«, rief Josef Stahl schon von weitem und wiederholte es ständig, bis er schnaufend vor uns stand: »Büchsenöffner. Otto hat den Büchsenöffner befohlen.«
    Das Gesicht von Fritz verlor den letzten Rest Farbe. Mir war allerdings auch noch schlecht von der Uberdosis Kaviar. Es konnte nicht wahr sein, dass sie schon wieder an Essen dachten! Möglicherweise hatte sich Kochen und alles, was damit zusammenhing, zu einem Beschäftigungsritual ausgewachsen, einer Bunkermacke. Doch Fritz sah seinen Kumpel ebenso ungläubig an:
    »Büchsenöffner? Bist du sicher?«
    »Ja, Büchsenöffner.« Gleichzeitig riss Josef seine Maschinenpistole herum, den Lauf auf mich gerichtet: »Hände hoch!«
    »Tut mir leid«, sagte Fritz von Jagemann und schien den Schreck in meinen Augen wirklich zu bedauern.
    Mit beiden Armen stemmte ich seine Aktentasche über den Kopf, im ersten Moment war das kein Problem, aber schon auf dem Weg zu

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