Die Nachhut
war erstmal Professor Zeitz an der Reihe.
Die Frage des Moderators war denkbar einfach: Zeitz sollte zunächst nur kurz sagen, was er grundsätzlich davon halte. Er aber zog schon die Pause vor seiner Antwort dermaßen affektiert in die Länge, dass man das Schlimmste fürchten musste.
»Also zunächst einmal Folgendes: Die genannten Einheiten gab es alle. Ihre Bezeichnungen stimmen. Es ist auch exakt das typische Militärdeutsch, in dem sie sich ausdrücken ...«
Jetzt mach schon! Ich wollte endlich das große Aber hören, meine Sachen packen und nach Hause fahren. Aber: Es gab kein Aber. Zeitz räumte zwar ein, nicht gerade ein Waffen-SS-Experte zu sein, doch so viel könne er sagen:
»Wir haben es hier nicht mit irgendwelchen Landsern zu tun. Wenn überhaupt jemand so zäh und lange durchhält, dann diese Leute. Sie galten seinerzeit als die besten Soldaten der Welt. Fanatisch bis zur letzten Kugel...«
Na toll! Immerhin war der Moderator auf der Hut und fiel ihm sofort energisch ins Wort: »Wollen Sie damit sagen, Sie halten diese Leute für echt? Noch dazu für ganz normale Soldaten, nur eben mit einem Totenkopf an der Mütze?«
»Ich will damit gar nichts sagen oder gleich wieder werten wie Sie. Eins allerdings hat mich hellhörig gemacht, nämlich als ein Sonderobjekt der Schutzklasse Eins erwähnt wurde.«
Er genoss die Pause, in der alle an seinen Lippen hingen. Noch war nicht mal jeder Diskussionsteilnehmer zu Wort gekommen, da hatte Zeitz die Bühne schon wieder allein für sich und seine Räuberpistolen. So lief das immer mit ihm. Die Leute liebten Nazigeschichten, je geheimer und gruseliger desto besser. Wunderwaffen. Bunker. Waffen-SS. Das war der Stoff, der viele Deutsche immer noch seltsam prickelnd erregte.
»Möglicherweise«, sagte Zeitz, beugte sich vor, als wolle er die Bombe flüsternd platzen lassen, und wusste doch genau, auf das Mikrofon an seinem Schlips ist Verlass: »Möglicherweise handelt es sich um das rätselhafte achte Hauptquartier.«
»Sie meinen ...«
»... ganz genau: das Objekt Grimm. Wie Sie alle wissen, hielt sich eine Zeit lang sogar die Legende, der Führer hätte dort überlebt. Grimm jedenfalls wurde bisher nie gefunden.«
»Aber ...« Der Moderator bekam das aufgeregte Raunen der Experten kaum noch in den Griff: »Aber es gibt doch massenhaft Forschungen und Bücher darüber, die angebliche Alpenfestung und so - wieso denn ausgerechnet über diesen Bunker nicht?«
»Sie dürfen nicht vergessen, wie misstrauisch der Führer war, erst recht nach dem Attentat in der Wolfsschanze. Die Organisation Todt, verantwortlich für den Bau solcher Anlagen, hatte durch die Rüstungsproduktion während des Krieges eine Macht erlangt, die er ihnen nie zugedacht hatte. Noch im Dezember 1944 gab er den Befehl für den Bau neuer Hauptquartiere in Mitteldeutschland. Selbst enge Vertraute wie Speer wussten am Ende nicht mehr über alle Pläne Bescheid.«
»Sie gehen also davon aus, Hitler hätte in der Nähe von Berlin noch eine gänzlich geheime Bunkeranlage bauen lassen?«
»Eine Außenstelle von Maybach II, jawohl. Das Gerücht gab es immer, aber auch ein paar handfeste Hinweise.«
»So? Welche denn?«
»Zum Beispiel Ausweichquartiere in jeder anderen Himmelsrichtung. Falls die Reichshauptstadt - also Berlin - eher fallen würde als der Rest. Die meisten sind bekannt und liegen alle in einem Radius von etwa 100 Kilometern um Berlin. Nur im Westen nicht. Auch die Nähe zur Autobahn weist darauf hin ...«
Der Moderator fiel ihm erneut ins Wort: »Kommen Sie uns jetzt etwa mit der Autobahn? Autobahn geht ja nun gar nicht!«
Auch der Rest der Runde murmelte wieder etwas skeptischer: »Pfui« riefen die einen, »na ja«, »na und« oder »mag sein« sagten andere, bis sie Zeitz alle mit einer theatralischen Handbewegung und einem lauten »Moment!« zum Schweigen brachte.
Er zog ein Papier aus dem Jackett und entfaltete es zur Hälfte. »Hier ist ein Bauplan für das Objekt Grimm. Es läuft unter Code S I, Sonderbauten Führer, und stammt aus dem Berliner Baubüro Dr. Kammler, das auch die meisten anderen unterirdischen Anlagen für ihn geplant hat.«
Für ihn! Der Führer! Professor Zeitz kostete die Wirkung seiner Worte voll aus und ließ den Bauplan schnell wieder verschwinden, als eine Kamera näher kam. Ein paar Teilnehmer verzogen immer noch zweifelnd das Gesicht. Und die noch nicht zu Wort gekommen waren, nutzten die Pause schnell für ihren Senf.
»Noch’n Tee? Sonst
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