Die Nachhut
abwechselnd auf den Rücken, bis er sich wieder beruhigt, aber mit seinem halbvollen Teller ins Haus flüchtet. Während ich dankbar eine Kelle Nachschlag annehme, frage ich beiläufig, was denn mit ihm los sei. Inge winkt ab, als wolle sie auch darüber lieber nicht reden. Gretel übernimmt es für sie: Es seien unsere Uniformen, der ganze Aufzug und die Abzeichen. Peter sei eben Kommunist, jedenfalls lange gewesen. Noch gestern Abend habe er verlangt, wir sollten uns umziehen oder verschwinden. Aber es sei ja nicht sein Hof, sagt Gretel abschließend und streichelt Konrad verliebt die Hand.
Inge muß dieses Geständnis so peinlich sein, daß sie wütend das leere Geschirr einsammelt und ihrem Mann ins Haus folgt. Gretel schaut ihr mitleidig nach. Von Anfang an sei sie gegen diesen Kerl gewesen, flüstert sie dann, aber was hätte sie machen sollen - ohne Konrad und in der schweren Zeit damals.
Ein Kommunist? Otto scheint nur die Hälfte mitzubekommen, denn er schweigt dazu, döst satt und zufrieden vor sich hin, bis ein Schuß über den Hof hallt. Konrad beugt sich schützend über seine kleine Frau. Inge und Peter kommen aus dem Haus gerannt. Ich selbst sitze starr vor Schreck vor meinem Notizbuch und fürchte, es kam aus der Scheune. Josef, dieser Idiot!
Tatsächlich geht das Scheunentor auf. Der Jude lacht und schiebt ein Motorrad mit Beiwagen heraus, fängt an zu rennen und springt auf. Es knallt noch zweimal, bis der Motor richtig bollert, und Josef eine Runde über den Hof dreht. Zwei Hühner flattern um ihr Leben. Danach bremst er scharf vor unserem Tisch, steigt ab und zeigt mit beiden Händen auf das knatternde Gespann - stolz wie ein Dirigent, der mit dem Solisten kokettiert und doch vor allem selbst Beifall erwartet.
Zuerst bekommt er ihn von der falschen Seite: Völlig aus dem Häuschen springt der Kommunist um das Motorrad herum. Was der Fehler gewesen sei, will er wissen, und wie das Josef nur gemacht habe. Offenbar hat Peter selbst jahrelang vergeblich daran herumgebastelt und auf einmal auch kein Problem mehr mit Josefs Uniform, der grinsend den Motor abwürgt und seine öligen Zauberhände hebt, als könne er dafür genauso wenig.
Ich glaube, es ist eine R 75, wie sie Panzerdivisionen gern zur Begleitung ihrer Verbände nutzen. Ausgelegt für drei Mann, nur das Maschinengewehr auf dem Beiwagen fehlt. Und natürlich weiß Konrad alle restlichen Daten aus dem Kopf: 746 Kubik, Zweizylinder-Boxer, über 90 Kilometer pro Stunde ...
Da schreit Peter plötzlich auf und zeigt entsetzt auf das Hakenkreuz an der runden Nase der Beiwagenwanne. Die Farbe glänzt noch feucht. Mit seinem Hemdsärmel will er es sofort abwischen. Es ist ein jämmerlicher Anblick, wie er vor seiner Maschine kniet und putzt. Ein häßlicher Fleck aus schmutzigem Rosa bleibt trotzdem, da kann er reiben, wie er will.
Inge erinnert ihn daran, daß er wieder in die Schule muß, und holt schnell ein frisches Hemd. Fluchend zieht sich Peter um, fährt wortlos vom Hof, kehrt noch einmal um und droht uns aus dem Wagenfenster, er werde die Polizei rufen, notfalls auch die Russen, sollten wir heute Abend immer noch da sein.
Bevor die Sache eskaliert, beschließen wir kurzfristig den Aufbruch. Sein Motorrad müssen wir allerdings requirieren. So ein Gespann ist allemal unauffälliger als der Kraftwagen der Filmleute, außerdem fällt durch den Beiwagen die Plackerei mit Ottos Sessel weg. Jeder wird uns für eine ganz normale Patrouille halten, und ohne Konrad passen wir sogar alle drauf.
Der Abschied von ihm fällt denkbar kühl aus: Deserteur bleibt Deserteur. Da mag seine Tochter eine noch so ordentliche Marschverpflegung packen und ein roter Schwiegersohn Strafe genug sein - das hätte niemand von ihm erwartet!
Natürlich war es auch ein Schock für mich, als plötzlich jemand den Duschvorhang zur Seite riss, jedenfalls im ersten Moment. Aber vor allem war es meine Schuld.
Ich hatte nicht abgeschlossen und unter dem rauschenden Wasser niemanden kommen hören. Du hattest nichts weiter an als ein Handtuch um und deine Kopfhörer auf. Wir waren beide taub, in Gedanken noch im Bett. Ich hatte dermaßen schlecht geträumt, dass ich zwar über den Flur zur Dusche gewankt war, aber keine Sekunde daran gedacht hatte, dass es nur ein Bad für alle Gäste gab. Aber das soll natürlich auch alles keine Ausrede sein. Dafür, dass ich aufschrie, als du plötzlich vor mir standest. Dafür, dass du es wahrscheinlich nicht mal gehört hast,
Weitere Kostenlose Bücher