Die Nachhut
an, als wisse er nicht, wovon ich rede. Er mag ein feiner Kerl sein, aber ich fürchte auch, daß er nicht gerade zu den Hellsten seiner Generation zählt, genau wie seine Freunde, die sich vor Langeweile als Russen verkleiden und vor den eigenen Soldaten in die Hose machen. Aber wie sich das gehört, setzt sich Jan trotzdem für sie ein.
Sie würden sonst nicht so viel trinken, beteuert er, im Gegenteil. Anders als den meisten jungen Leuten heutzutage würden ihm und seinen Kameraden die alten Tugenden viel bedeuten. Deshalb auch die Glatzen. Ich müsse mir das so vorstellen: Selbst mit einem akkuraten Haarschnitt könne man heute ein Zeichen setzen. Ein zäher Kampf sei das gegen den undeutschen Geist und die Amerikanisierung. Hier auf dem Land würde es zwar noch gehen - nach Berlin allerdings würde er sich mit seiner Frisur (er nennt das wirklich so!) nicht getrauen.
Als ich ihm darauf unsere grobe Marschrichtung verrate, warnt er uns eindringlich: Wir sollten bloß vorsichtig sein! In der Reichshauptstadt seien Deutsche ihres Lebens nicht mehr sicher, nur noch Ausländer dort. Eine Schande sei das.
Möglicherweise übertreibt er hier und da, denn er behauptet sogar, die Partei stünde seit Jahren immer kurz vor einem Verbot, nicht etwa nur in den vorübergehend besetzten Gebieten, sondern im ganzen Reich und angeblich durch deutsche Behörden.
Darf ich Sie etwas fragen, fragt er dann und rückt näher wie ein Verschwörer: Glauben Sie an den Freitod des Führers?
Ich habe es geahnt, der Junge hat einen Dachschaden. Das ist traurig, aber auch kein Wunder, schaut er doch auch den halben Tag in diesen Kasten mit der abartigen Negermusik. Vermutlich hängt das alles zusammen: Daß ein junger Kerl wie Jan nichts mit sich anzufangen weiß und außerdem jeden Glauben verloren hat - an sein Land, sich selbst und sogar an den Führer. Das versuche ich ihm klarzumachen. Der Führer mag eines Tages fallen oder - Gott bewahre - schon gefallen sein. Aber sein Volk im Stich lassen? Niemals!
Gegen Mittag kommen zwei seiner komischen Kameraden vorbei. Jan führt mich stolz vor, und in ihrer einfältigen Art machen sie kaum einen Unterschied zwischen mir und meinem Seitengewehr. Andächtig bestaunen sie jede Kleinigkeit meiner Ausrüstung, als sei selbst das Feldgeschirr eine Art Reliquie. Die Doppelrune hat es ihnen besonders angetan: Irre, sagen sie immer wieder, und ob ich damit wirklich auf der Straße herumlaufen würde, wollen sie wissen. Wie denn sonst, frage ich zurück. Da erzählt einer von ihnen, er lerne Konditor, und sein Meister habe ihm sogar verboten, die Sahneschnitten auf den Bestellzetteln so abzukürzen. Muß man das verstehen?
Kaum ruft Gretel zum Essen, trollen sie sich vom Hof wie ungelittene Hunde. Die Frauen haben einen Eintopf mit Fleischeinlage gezaubert und servieren ihn gleich auf dem Hof. Weil Otto und Konrad kein Wort miteinander reden, liegt es an mir, für die Unterhaltung am Gartentisch zu sorgen. Ich lobe die Suppe, das Wetter und Inges Enkelsohn. Über das Kompliment für die Suppe freut sie sich. Der Frühling dagegen sei viel zu spät und Jan - na ja. Mehr sagt sie dazu nicht.
Mein Eindruck kann täuschen, aber der Junge scheint ein echtes Sorgenkind zu sein. Bevor ich danach fragen kann, kommt ein kleines Auto auf den Hof geknattert. Inges Mann Peter steigt aus, und ich bin mir ziemlich sicher, daß er es war, dem die Burschen lieber nicht begegnen wollten. Peter ist der Einzige in der Familie, der vor Ort noch Arbeit hat. Als Lehrer in Wittstock kommt er dennoch täglich zum Mittagessen nach Hause, so wie das auf dem Land von jeher üblich ist.
Endlich taucht auch Josef wieder auf. Das klappernde Auto hat ihn aus der Scheune gelockt. Er fängt Peter auf dem Hof ab und fragt ihn irgendwas. Konrads Schwiegersohn sieht nicht gerade begeistert aus, kehrt aber nach wenigen Sekunden im Schuppen mit einer Kiste voller Farbdosen und Pinsel zurück. Josef bedankt sich überschwenglich und verschwindet wieder in der Scheune. Was macht er dort nur? Hat er keinen Hunger?
Grußlos setzt sich Peter an den Tisch und beginnt, mürrisch seine Suppe zu löffeln. Sein Kopf hängt tief über dem Teller, als wolle er jeden Blickkontakt mit uns vermeiden. Irgendetwas passt ihm nicht, aber offenbar fehlt ihm der Mumm, es auszusprechen. Als Konrad ihm die Hand auf die Schulter legt und seinen Schwiegersohn auffordert, ordentlich reinzuhauen, verschluckt sich Peter furchtbar. Gretel und Inge klopfen ihm
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