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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Schiller, hinter ihm dein Gesicht, und rechnete mit irgendeinem blöden Spruch zum Abschied. Der Fahrer aber bremste nicht mal. Schiller klebte nur ein magnetisches Blaulicht aufs Dach. Busch hob die Hand an die Dauerwelle und salutierte dem Wagen ironisch hinterher.
    »Danke für die Kiste«, sagte ich, »coole Vorstellung!«
    »Scheiß auf die Kiste, ich wollte mein Auto wieder.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt warten wir, bis die anderen verschwunden sind, und fragen den Alten, wo der Rest der Bande steckt.«
    Nachdem ihre Chefs weg waren, dauerte es auch nicht mehr lange, bis der letzte Polizist vom Hof war. Konrad kam vor das Tor gehinkt, sah sich misstrauisch um, und obwohl er uns nicht übersehen konnte, zog er den ersten Flügel zu, rammte den Stachel in den Sand und griff gerade nach dem zweiten, als ich vor ihm stand. Er richtete sich auf und schüttelte wortlos mit dem Kopf. Die Geste war eindeutig, aber es musste sein:
    »Wo sind die anderen? Bitte, Konrad, du hast doch gesehen: Wir haben dich auch nicht verraten.«
    Der alte Bauer ließ das Tor los, kratzte sich am Hinterkopf und schob die Mütze wieder gerade, bevor er mich verständnislos anblinzelte: »Wer? Welche anderen? Wen meinen Sie?«
    Ich nickte. Wir schwiegen uns noch ein paar Sekunden an. Dann kehrte ich zum Van zurück und angelte mir eine Kladde aus der grünen Kiste, während Busch den Motor aufheulen ließ.
    24. Juni 1974 Der Erkundungstrupp war endlich oben, fünf Stunden nur - dann meldeten sich die vier Kameraden mit Klopfzeichen am Lüftungsschacht Nord zurück. Iwan sei überall, so ihr erster atemloser Bericht. Am Himmel seine Kampfflugzeuge. Der Wald eine Feuerwand. Kein Durchkommen. Die totale Überlegenheit, als wüßte er von uns. Sie wirken total verstört.
    Also hat der Eindruck hier unten nicht getäuscht: Sie decken uns nun seit fast 30 Jahren mit Bomben und Granaten ein. Ihr Artillerieaufgebot muß gewaltig sein: Täglich vibrieren die Gläser. Immer öfter rieselt Sand durch die porösen Teerfugen, manchmal bebt sogar die Zwischendecke aus Beton. Was die Späher sonst noch zu berichten haben, macht auch wenig Mut: keine Spur von eigenen Verbänden oder Gegenwehr. Der Russe parke seine Flugzeuge nur spärlich getarnt ganz in der Nähe. Wie für die Ewigkeit hätten sie sich eingerichtet. Andererseits: Warum sollte Iwan diesen Aufwand treiben - wenn nicht in einem Großkampf gegen erbitterten deutschen Widerstand?
    Die Mannschaft ist in dieser Frage gespalten. Ich gehöre eher zur Fraktion der Optimisten, auch wenn niemand mehr bedingungslos an den Endsieg glaubt. Immerhin sind wir hier unten einigermaßen sicher und haben einen eindeutigen Befehl. Schon deshalb erübrigt sich die Diskussion, die einige immer offener führen: Es kann nicht darum gehen, ob wir den Rest unseres Lebens hier unten verschimmeln wollen, sondern höchstens darum, was wir am Ende mehr fürchten - die Russen oder die strafende Verachtung des eigenen Volkes. Es wäre Fahnenflucht, nichts weiter. Und letztlich ist damit - wenigstens darauf können sich alle einigen - jeder Schritt aus dem Bunker mit Lebensgefahr verbunden, so oder so.
    Erst vier Stunden nach der Heimkehr der Aufklärer können sich wieder alle vorbehaltlos dem Halmaspiel widmen, das seit kurzem Mode ist. Im letzten Kartenspiel war der Pik-Bube nicht mehr von einer roten Sieben zu unterscheiden, so abgegriffen war das Blatt. Die Halmabretter schneidet Josef aus Linoleum. Für die Steine pult er die Projektile aus Patronen und bemalt sie bunt. Die halbe Wehrmacht könnten wir inzwischen damit versorgen.
    An Geld sind noch exakt 324 Mark und 78 Pfennige im Umlauf. Dabei waren es nach meinen Aufzeichnungen vor zwei Jahren noch knapp über 700 Mark. Nachdem endlich auch alle Zigaretten aus den eisernen Rationen als adäquate Währung aufgebraucht sind, wandert der Rest sinnlos hin und her und wird immer wieder neu verteilt, sobald einer alles gewonnen hat. Nichtraucher wie ich genießen dafür eine völlig neue Lebensqualität! Es grüßt und küßt Dich in diesem Sinne von Herzen - Dein Fritz.
    Mal ehrlich, Evelyn: Hattet ihr wirklich keinen Schimmer oder habt ihr Konrad absichtlich übersehen? Dir hätte ich so viel Mitgefühl sogar zugetraut, rein menschlich, Busch aber lachte mich dafür nur aus, und wenige Minuten später musste ich es auch einsehen.
    Jenny ging immer noch nicht an ihr Telefon. Wir hatten zwar unser Auto wieder, aber waren gerade zehn Minuten unterwegs, als Busch an einer

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