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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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gar keine Luft mehr. Es dauert zwei Stunden, bis ihn Josef ohne Werkzeug abmontiert hat. Auf Feldwegen stoßen wir danach weiter Richtung Süden vor, bis uns ein Fluß den Weg versperrt. Wenn es die Havel ist, wie ich vermute, müssen wir uns nun entscheiden: Osten oder Westen? Bolschewisten oder Amerikaner? Endlich Gewißheit in der Reichshauptstadt, das wäre links, oder - rechts: das unübersichtliche Chaos im Hinterland? Aus Sorge vor dem nächsten Streit zeige ich nach rechts, und Josef biegt erwartungsgemäß links ab. Nach einer weiten Flußschleife, die wir querfeldein abkürzen, mischt sich plötzlich Geschützlärm unter das Geknatter der Maschine. Ohne Fahrtwind sind sogar einzelne MGs zu hören. Wir steigen ab, kriechen auf einen Hügel, und vor uns breitet sich ein Schlachtfeld aus, wie wir es höchstens aus der Wochenschau kennen.
    Auf den ersten Blick ist es mindestens ein Pionier-Bataillon, das unter schwerem Feuer versucht, ein paar Pontons über den Fluß zu legen. Durch den Feldstecher erkennen wir Wehrmachtstechnik diesseits des Wassers. Mehrere hundert Mann halten den Gegner am anderen Ufer in Schach. Aber auch dort rücken immer neue Verbände nach, stürmen Russen mit roten Fahnen in das Sperrfeuer unserer Leute und werden im Dutzend niedergemäht. Glück muß man haben. Es ist das erste echte Gefecht, das wir aus dieser Nähe erleben dürfen, und gleich so eine Schlacht! Lange genug haben wir auf unsere Feuertaufe warten müssen. Josef zögert dennoch: Ob ich da wirklich rein wolle, fragt er aufgeregt, mitten ins Getümmel?
    Ich nicke entschlossen und zurre den Stahlhelm fest. Danach gibt es auch für Josef Stahl keine Ausreden mehr.
    An einer Schranke winkt uns ein Posten anstandslos durch. Er scheint sich nicht über die Dienstgrade der eiligen Kradmelder zu wundern. Umso mehr staunen wir: Werden Kampfgebiete neuerdings abgesperrt? Das mag zwar ganz praktisch sein gegen heimtückische Flankenangriffe oder flüchtende Deserteure. Aber läßt sich solches Pack wirklich von Stahlzäunen mit gelben Schildern abschrecken, auf denen Betreten verboten steht?
    Nach zweihundert Metern stoßen wir auf ein kleines Feldlager. Anders als an der Tankstelle tragen die Kameraden hier die gewohnten Uniformen. Landser sitzen oder liegen auf Bierbänken. Andere stehen in Schlangen vor weißen Wohnwagen, wo sie Getränke und Essen fassen, oder werden gruppenweise zurück ins Gefecht geführt. Vor einem Zelt, das als Lazarett dient, spielen junge Kerle mit blutdurchtränkten Kopfverbänden fröhlich Karten, als wären ihre Verletzungen nur ein Klacks.
    Wir sitzen ab und fragen nach dem Kommandeur.
    Weiter vorn am Fluß, erklären sie, und einer grölt uns respektlos hinterher, aus welcher Gruft man uns denn aus gegraben hätte? Vermutlich ist es unser Alter.
    Durch ein Labyrinth aus Schützengräben werden wir weitergereicht. Am Ende der Kette weist uns ein Feldwebel an, kurz zu warten. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen strecke, kann ich den Gefechtstand sehen: Es ist ein weißes Zelt und überragt das Feld der Ehre ohne jede Tarnung - eine Zielscheibe für Blinde. Josef Stahl schüttelt ebenso ungläubig den Kopf: Das hier hat nichts mehr mit Todesverachtung zu tun, sondern grenzt an Selbstmord. Doch geradezu schicksalhaft wird das Zelt von jedem Treffer verschont.
    Ab und zu rennen weibliche Zivilisten an uns vorbei durch den Graben. Mit winzigen Funkgeräten in der Hand kommandieren sie Truppen hin und her. Eine Schande ist das - aber auch kein Wunder: Denn der General soll Amerikaner sein. Du hast Dich nicht verhört! Der Feldwebel nennt ihn Mister Jason, ein Überläufer wahrscheinlich - aber trotzdem: Frauen an der Front?
    Der Kampf um den Fluß scheint schon einige Tage zu dauern. Für die Nächte hat man riesige Gerüste mit Scheinwerfern aufgestellt. An einem Kran schwebt ein Kanonier über das Schlachtfeld. Er sitzt in einer Gondel, starrt in seine Zieloptik - aber schießt nicht, obwohl er auch dem Feind immer wieder bis auf wenige Meter nahe kommt.
    Jemand ruft Achtung, wir stehen stramm. Dann heißt es: Szene 24, Sturm auf die Wolga, die Dritte - und statt Angriff lautet der Befehl Äktschn. Deckung wäre allerdings eher angezeigt gewesen, denn knapp vor unserem Graben detoniert eine Granate. Dreck spritzt nach allen Seiten, aber zum Glück hören wir keine Splitter pfeifen. Der Feldwebel und alle andere Kameraden klettern aus dem Graben und stürmen nach vorn. Stahl und ich schauen uns an und

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