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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Zwei Besucherstühle standen vor einer Fototapete mit Laubwald, vor dem Fenster weiße Senkrecht-Jalousien wie sie Anfang der 90er Jahre in jedem Büro üblich waren - Ottos neues Zuhause war weder schön noch richtig hässlich, sondern einfach nur menschenverachtend praktisch.
    Er blätterte gerade in einem Versandhauskatalog, saß mit dem Rücken zu uns in einem nagelneuen Rollstuhl und war mit einem breiten Gurt an dessen Lehne gefesselt. Aus dem Bund seiner schlabberigen Jogginghose ragte ungeniert ein hellblaues Stück Plastik hervor. Der Reichsführer SS trug Windeln.
    Wir standen noch immer betreten am Eingang. Busch musste sich mehrmals räuspern, bis uns Otto Böttcher bemerkte, sich mühsam umdrehte und uns überschwänglich begrüßte. Er wollte uns entgegenrollen. Doch jemand hatte die Bremse des Rollstuhls angezogen. Fluchend griff er zu einem Klingelknopf, als bereits die Tür hinter uns aufgerissen wurde.
    Der junge Pfleger muss schon die Hand auf der Klinke gehabt haben, schien kein bisschen überrascht und wollte uns sofort rausschmeißen. Offenbar hatte sein Zivildienstkollege an der Pforte doch noch Alarm geschlagen, nachdem er uns arglos einen verwirrten Neuzugang bestätigt und den Weg gezeigt hatte.
    »Halten Sie den Mund«, bellte ihn Otto an, »oder untersteht das Lazarett etwa ihrem Kommando?!«
    »Aber Dr. Worch hat...«
    »Papperlapapp! Diese Kameraden haben mir im Gefecht das Leben gerettet. Wissen Sie überhaupt, was das heißt?«
    Das wusste der arme Wehrdienstverweigerer natürlich nicht.
    »Na also: Wegtreten!«
    Widerwillig zog der junge Mann die Tür zu, und erst da fiel mir auf, dass es innen keine Klinke gab. Otto fühlte sich dennoch wohl und schwärmte in den höchsten Tönen von diesem »königlichen Quartier«, wie er es mehrmals nannte.
    Zumindest von außen hatte es genau so ausgesehen - aber nicht so, als könne er sich das leisten. Das Jagdschloss lag an einem See mitten im Wald. Hinter dem edel renovierten Hauptgebäude aus hellem Sandstein schmiegte sich ein Neubau aus Glas und Beton in die Idylle. Hohe Zäune, etliche Kameras und ein goldenes Schild, auf dem »Vesperi« stand und darunter »gerontopsychiatrische Privatklinik«. Man konnte es vornehm aus drücken, wie man wollte, es war eine Luxus-Klapsmühle für Senioren. Drei Stunden hatten wir hinter einer Garage gelauert, bis der Arzt, der Böttcher einkassiert hatte, wieder herausgekommen und in einem Jeep davongefahren war.
    Otto schien sich ehrlich über unseren Besuch zu freuen und vergessen zu haben, dass er uns bei der letzen Begegnung, vor nicht einmal 48 Stunden, noch hatte erschießen lassen wollen.
    »Setzt euch doch! Großartiges Zimmer, was? Nur das Personal ... Und? Was von den Kameraden gehört?«
    Ich nickte unsicher. Gerd lief zum Fenster und schaute in einen penibel gepflegten Park. Keiner von uns wusste so recht, was er sagen sollte. Ich versuchte es wenigstens:
    »Sie sind immer noch unterwegs. Wir wissen nur nicht wohin.«
    »Diese tapferen Burschen!«
    »Haben Sie eine Ahnung, wohin sie wollen? Verwandte, Anlaufpunkte, irgendjemand in Berlin vielleicht?«
    »Wer will das wissen? Ihr?« Otto blinzelte misstrauisch.
    Tat er sonst womöglich immer nur so verkalkt?
    »Ja, wir. Wir sind doch ...« Ich wollte sagen: auf seiner Seite, ein Team oder so. Aber das fiel mir immer noch schwer.
    »Wir machen uns Sorgen um die Jungs.«
    Zum ersten Mal hatte Busch ihnen gegenüber die richtigen Worte gefunden, sogar den richtigen Ton. Leider verdrehte er dabei uncharmant die Augen, als würden wir nur unsere Zeit verschwenden. Sogar Otto spürte, dass es an ihm lag, den Besuch sofort zu beenden oder künstlich in die Länge zu ziehen. Vorsichtshalber holte er etwas weiter aus.
    »Also der Fritz, was der von Jagemann ist, stammt aus Pommern - oder aus dem Anhaltinischen? War aber auf jeden Fall mal kurz in Berlin stationiert, das weiß ich genau. Und Hoppe - lasst mich mal überlegen! Ich glaube, Hoppe ist Bauer. Angeblich mit eigenem Hof. Aber der erzählt auch viel, wenn der Tag lang ist...«
    Otto war selbst dort gewesen, gestern erst. Es hatte wirklich keinen Zweck mit ihm. Doch dann versuchte er plötzlich mit seiner schweren bayrischen Zunge einen anderen Dialekt nachzuahmen:
    »Aber der Jude, det issn Berliner, hört man ja och, wa?«
    »Was?«
    Wir hatten das beide gleichzeitig ausgerufen. Busch legte sogar noch ein höfliches »Wie bitte?« nach.
    »Jetzt könnt ihr euch was wünschen.« Der alte Nazi

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