Die Nacht am See
Ihnen die Arbeit auch nicht erschweren. Nur manchmal kann ich halt nicht anders. Sie sind eine sehr attraktive Frau.”
Sie schluckte. „Und Sie sind ein attraktiver Mann, aber wir sind beide erwachsen und sollten in der Lage sein, uns zu beherrschen, vor allem angesichts der Gefahr, in der Sie schweben. Jemand könnte versuchen, Sie zu töten, und ich kann es mir nicht erlauben, mich ablenken zu lassen.”
Er nickte, wenn auch leicht enttäuscht, dass sie weiterhin so beherrscht war. Es war albern, das wusste er. Schließlich hatte er sie als Bodyguard engagiert und nicht als Geliebte.
Jocelyn nippte an ihrem Ginger Ale. „Sie haben mir noch immer nicht die Bedingung gesagt, mit der Sie meine Entschuldigung akzeptieren wollen.”
„Ach ja, die Bedingung.” Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab. „Nun, Sie haben jetzt mehr als ein Mal Vorurteile über mich geäußert, und ich würde gern wissen, warum Sie so voreingenommen sind.”
Sie atmete tief durch. „Das tue ich nicht. Ich kenne Sie kaum.”
„Sie missbilligen mich sehr wohl, und außerdem sind Sie gut darin, Fragen auszuweichen.”
„Und Sie sind ziemlich hartnäckig.”
„Sie weichen noch immer aus.”
Erstaunt schaute sie ihn an. „Sie geben nicht auf, was?”
„Nein.”
Eric Claptons ‘Layla’ ertönte aus dem Nebenzimmer, und der sinnliche Rhythmus verstärkte noch das spannungsgeladene Schweigen. Donovan beobachtete Jocelyn, die sich in ihrem Stuhl zurücklehnte. Ihre Lippen glänzten von der Kirschsauce.
Was würde er darum geben, den Geschmack ihrer süßen Lippen zu kosten …
Sein Körper reagierte heftig, als er sich vorstellte, seinen Mund auf den ihren zu pressen, also zwang er sich, sich wieder auf das zu konzentrieren, worüber sie eben gesprochen hatten.
Er hatte ihr eine Frage gestellt, die sie noch nicht beantwortet hatte.
Er wartete.
Jocelyn schob ihre Frühlingsrolle auf dem Teller hin und her. „Okay, wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich war mal mit einem Arzt liiert. Es ist schon Jahre her. Damals war er noch kein Arzt. Er studierte Medizin.”
„Was? Der Typ war ein Mistkerl, und jetzt sind alle Ärzte Mistkerle? Oder sind Sie noch nicht über ihn hinweg, und ich erinnere Sie an ihn?”
„Nein, nichts davon.”
„Was ist es dann?” Himmel, man musste ihr ja jedes Wort aus der Nase ziehen.
Sie trank einen Schluck. „Wir haben zusammen gewohnt. Während er studierte, habe ich uns beide ernährt und meine Ausbildung auf der Polizeiakademie aufgeschoben. Sobald er seinen Abschluss hatte, ließ er mich fallen, heiratete eine reiche Debütantin und änderte sich von Grund auf. Er kaufte sich einen Mercedes, fing an, in die Oper und ins Ballett zu gehen, was er mit mir nie getan hatte. Da reichte es immer nur zu einem Hockeyspiel oder einem Bier in der nächsten Kneipe. Am meisten hat mich getroffen, dass diese Frau und er schon etwas miteinander hatten, als wir noch zusammen waren. Er hat mich angelogen und ließ mich mit all den Schulden zurück, die ich angehäuft hatte, um ihn während des Studiums zu unterstützen. Einige Zeit später traf ich ihn mal in einem Buchladen zusammen mit seiner Frau. Er tat so, als kenne er mich nicht. Sie behandelten mich, als wäre ich Dreck unter ihren Füßen, als stünde ich Klassen unter ihnen.”
„Das ist der Grund, warum Sie mich missbilligen? Sie glauben, nur weil ich ein Penthouse besitze und ab und zu in die Oper gehe, bin ich ein Snob?”
Er hoffte, sie würde erkennen, wie sehr sie sich täuschte. Er war nicht mit diesem Reichtum aufgewachsen. Den hatte er erst später geerbt, als er alles dafür gegeben hätte, um das wieder zu bekommen, was er verloren hatte. Sogar jetzt würde er noch alles geben, wenn er damit die Tragödie seiner Kindheit rückgängig machen und noch einmal seine Eltern sehen könnte, die er nie richtig gekannt hatte.
Er schluckte, weil er noch immer diesen Verlust tief in seinem Inneren verspürte und nur auf ganz vage Erinnerungen zurückgreifen konnte - das liebende Lächeln seiner Mutter, das laute Lachen seines Vaters, als er ihn, den kleinen Donovan, im Kreis herumwirbelte. Wenn er sich doch nur an mehr erinnern könnte …
Er verdrängte die Trauer, so wie er es schon vor vielen Jahren gelernt hatte zu tun, und kehrte in die Gegenwart zurück.
„Das ist es nicht.” Jocelyn machte eine Handbewegung durchs Zimmer. „Tom ist Arzt geworden, um genau das hier zu haben. Aus Prestigegründen. Es hatte nichts damit zu
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