Die Nacht am See
sie am See erlebt hatten, nichts mit der Realität zu tun gehabt hatte.
Dies hier war die echte Jocelyn. Der knallharte, herzlose Profi.
„In Ordnung”, sagte er kühl. „Ich werde mit dir kommen, aber ich denke - wegen unserer persönlichen Bindung - ist es besser, ich engagiere jemand anderen als Leibwächter. Ich glaube, das wirst du verstehen.” Wenn er sich davon abhalten wollte, ihr wieder zu verfallen, dann durfte er nicht einmal daran denken, sie wieder einzustellen und mit in seine Wohnung zu nehmen.
Sie öffnete den Mund. Aus Überraschung? Oder war es aus Schmerz? Wenn es Schmerz war, dann konnte es nicht schlimmer sein als das, was er hatte durchmachen müssen, als sie ihre Beziehung beendet hatte. Er würde deshalb keine Schuldgefühle aufkommen lassen.
„Gut, dann lass uns hier entlang gehen.” Sie erholt sich rasch von dem Schock. Ganz der Profi, dachte er.
Die Augen auf den Weg gerichtet und auf die Menschen, die sich ihnen von allen Seiten nähern konnten, ging Jocelyn neben Donovan. Sie sprachen nicht. Er wusste, dass sie auf ihre Aufgabe konzentriert war, und er hätte ohnehin kein Wort herausgebracht. Er wollte nur, dass die Sache vorbei war.
Sie näherten sich seinem Wohnhaus und warteten darauf, die Straße überqueren zu können.
Plötzlich, aus dem Nichts, zischte ein Schuss an Donovans Kopf vorbei und riss einen Steinsplitter aus dem Gebäude hinter ihm. Instinktiv suchte er hinter einer Telefonzelle Schutz. Jocelyn schlang einen Arm um ihn und beschützte ihn mit ihrem Körper, so wie sie es auch beim letzten Mal schon getan hatte. Die Menschen auf der Straße liefen laut schreiend weg. Sein Herz klopfte wie wild.
Noch ein Schuss wurde abgefeuert und verfehlte sein Ziel.
„Er gibt nicht auf!” Jocelyn, die Waffe in der Hand, sah sich nach einem besseren Schutz um.
Donovan lugte hervor.
„Nicht!” rief sie.
„Er ist dort!”
„Wo?”
Donovan streckte noch einmal den Kopf vor. „Neben meinem Haus. Er hat ein Gewehr auf uns gerichtet.”
Jocelyn beugte sich vor, als im selben Moment eine Kugel die Telefonzelle traf. Holz splitterte neben ihr auf. Die Gelegenheit beim Schöpfe packend, feuerte sie auf Cohen und schaffte es wie durch ein Wunder, ihm die Waffe aus der Hand zu schießen. Donovan hörte Cohen vor Schmerz aufstöhnen und sah ihn dann das Weite suchen.
„Er will verschwinden!” Donovan raste über die Straße, um ihn zu verfolgen.
„Donovan, warte!” Jocelyn folgte ihm.
Sirenen begannen irgendwo in der Ferne zu heulen, doch Donovan blieb nicht stehen. Er hatte die Chance, Cohen zu schnappen, und würde jetzt nicht auf die Polizei warten.
Er rannte Cohen hinterher. Jocelyns Schritte erklangen nicht weit hinter ihm. Er wusste, dass sie ihre Waffe dabeihatte, und Cohen war unbewaffnet. Er würde jetzt nicht aufgeben. Er sprang über einen Mülleimer.
Er kam Cohen immer näher. Der Typ war kein Läufer.
Eine Minute später warf Donovan sich mit einem Riesensatz rücklings auf Cohen und brachte ihn zu Fall. Er spürte, dass er sich den Arm an irgendetwas aufschrammte; sein Kinn rammte Cohens Hinterkopf, und er schmeckte Blut.
Cohen wand sich unter ihm, um sich zu befreien, doch das Klicken einer Waffe an seiner Schläfe ließ ihn erstarren.
„Keine Bewegung”, sagte Jocelyn, die mit beiden Händen ihre Waffe umklammert hielt.
„Wenn Sie auch nur einen Muskel bewegen, werden Sie gar nicht mehr aufstehen.”
Donovan warf einen Blick auf sie - knallhart, mit weit gespreizten Beinen stand sie da. Er ließ Cohen los, der ängstlich die Hände in die Luft streckte. Ein Polizeiwagen hielt in diesem Augenblick neben ihnen, und ein Schwärm Uniformierter kam herbeigeeilt. Donovan wischte sich seine blutende Lippe ab.
„Hallo, Miss Mackenzie”, sagte einer der Polizisten, bevor er Cohen packte und ihm Handschellen anlegte. „Gute Arbeit.”
Sie senkte ihre Waffe. „Es war Dr. Knight, der die Hauptarbeit erledigt hat, Charlie.” Ihre Schultern hoben und senkten sich, als sie tief Luft holte und zu Donovan sah. „Bist du okay?”
Er betrachtete das Blut an seiner Hand. „Ich werde es überleben.”
Sie starrte ihn an, und dann veränderte sich ihre Miene. Aus der knallharten Leibwächterin wurde eine Frau. Tränen rannen ihr über die Wangen.
Donovan atmete schwer, genau wie sie. Himmel, er liebte sie noch immer.
Jocelyn machte drei große, hastige Schritte auf ihn zu und warf sich ihm in die Arme.
Die ganze Welt verblasste um sie herum.
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