Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
spürte er, wie die Stimme seiner Mutter in ihm immer schwächer wurde und schließlich ganz verstummte. Und er wusste, was geschehen war: Was immer dort in der Höhle war, hatte seine Mutter getötet. Und wartete nun auf ihn. Auch ohne diesem Wesen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten spürte er seine Grausamkeit. Das Ding in der Dunkelheit kannte keine Gnade. So schnell er konnte, floh der Junge aus der Höhle und rettete sich ins frühe Sonnenlicht.
Einige Zeit lang schlug er sich mehr schlecht als recht durch. Jagte in den Wäldern, suchte nach Aas, raubte Wanderer aus, die sich verirrt hatten. Doch bald wurde er gefasst und vor Gericht gestellt. Man ließ ihn zwar am Leben, machte ihn aber zum Gladiator, was zur damaligen Zeit den sicheren Tod bedeutete. Der Blutgeborene erwies sich allerdings als ungewöhnlich stark und talentiert – mit Leichtigkeit siegte er über jeden Herausforderer, Mensch oder Tier, und erweckte so die Aufmerksamkeit des Senats und der Armee. Kurz vor seiner offiziellen Gladiatorenweihe wurde er von einer Gruppe Neider attackiert und von etlichen Schwerthieben getroffen, die ihn jedoch auf wundersame Weise nicht töteten. Die Wunden verheilten schnell, und der Blutgeborene wurde von der Gladiatorenschule genommen und kam in die Obhut des Senators Faustus Sertorius, der sich in seiner freien Zeit mit schwarzer Magie befasste und eine Sammlung primitiver magischer Artefakte besaß. Der Senator glaubte in dem Gladiator den »Fünften Un sterblichen« zu erkennen – geboren aus menschlichem Fleisch und vampirischem Blut –, und nannte ihn daher Quintus Sertorius.
Der mysteriöse peregrinus wurde anfangs in die auxilia aufgenommen, doch schnell stieg er in der Armee auf und wurde schon bald der Dritten Legion zugeteilt. Unter dem Banner des Pegasus überquerte er den Ozean und kämpfte in Afrika gegen die Berber. Dabei eignete er sich besondere Fähigkeiten mit dem pilum an, dem römischen Langspeer; man erzählte sich, dass er damit ein Pferd in vollem Galopp treffen konnte. Außerdem schwang er eine stählerne Doppelklinge, ein gladius hispaniensis , das er sich eigens hatte anfertigen lassen – ohne die übliche Silberverzierung und mit einem aus dem Oberschenkelknochen eines Menschen gefertigten Griff.
Viele Jahrzehnte vergingen, in denen Quintus etliche Male am traditionellen Triumphmarsch vom Bellona-Tempel zur Porta triumphalis teilnahm; in denen er, zur Freude des jeweiligen Kaisers, den Ruhm der römischen Armee mehrte. Gerüchte umrankten ihn – Warum lebte er so lange? Warum konnten ihm all die Wunden nichts anhaben? –, und er wurde ebenso sehr verehrt wie gefürchtet. Im Norden Britanniens trug er Angst und Schrecken in die Heere der Pikten; die Germanen nannten ihn ehrfürchtig den »stählernen Schatten«; und allein seine Anwesenheit trug zum Frieden am Ufer des Euphrats bei.
Tatsächlich war Quintus eine mehr als beeindruckende Erscheinung. Seine kantige Statur und die ungewöhnlich blasse Haut machten ihn zu einer lebenden Statue, gemeißelt aus reinstem Marmor. Er war ein Kämpfer durch und durch, jede seiner Bewegungen verströmte Selbstbewusstsein. In einem Zweikampf benötigte er gerade mal zwanzig Sekunden, um den Gegner zu Boden zu werfen. In einer Schlacht stellte er sich stets an die Spitze der Vorhut und verließ als letzter das Feld. Anfangs sammelte er auch Trophäen, doch als das Töten zur Gewohnheit wurde und der gehortete Tand allmählich sein Haus verstopfte, verlor er das Interesse daran.
Zu jedem Zeitpunkt seiner Karriere jedoch spürte Quintus den Schatten des Meisters über sich. Immer wieder geriet er in einen Hinterhalt, musste sich gegen Vampirsklaven zur Wehr setzen – und manchmal auch gegen den Meister selbst, der sich längst des fünfzehnjährigen Thrax entledigt hatte und Quintus nun in den unterschiedlichsten Wirtskörpern auflauerte. Erst war der Blutgeborene von diesen Attacken verwirrt, aber mit der Zeit wuchs seine Neugier auf jenes Wesen, das für seine Existenz verantwortlich war. Die militärische Ausbildung hatte ihn gelehrt, bei einer Bedrohung in die Offensive zu gehen – und so versuchte er seinerseits, dem Meister auf die Spur zu kommen.
Etwa zur selben Zeit wurden die Alten auf Quintus’ Heldentaten aufmerksam, und während eines Feldzugs suchten sie ihn nachts in seinem Zelt auf. Durch sie erfuhr der Blutgeborene endlich die Wahrheit über seine Herkunft und jenen eigenwilligen Alten, den seine Brüder »den
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