Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
Jüngsten« nannten. Sie lehrten ihm vampirisches Wissen – in der Annahme, dass er sich ihnen anschließen würde.
Doch Quintus weigerte sich. Er wollte nichts mit den Vampirfürsten zu tun haben, die alle durch denselben Kataklysmus entstanden waren wie der Meister. Er hatte sein bisheriges Leben bei den Menschen verbracht – und bei den Menschen sah er auch seine Zukunft. Trotz der Bedrohung durch den Meister beschloss er, als Unsterblicher unter Sterblichen zu leben – und nicht als Halbblut unter Reinblütigen.
Als schließlich seine Tage auf dem Schlachtfeld gezählt waren, wurde Quintus zum Legaten ernannt und erhielt einige Morgen fruchtbares Land an der süditalienischen Küste. Außerdem gab man ihm – der selbst keine Kinder zeugen konnte – eine Familie: eine junge Berberwitwe mit olivfarbener Haut, dunklen Augen und einer Tochter. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er so etwas wie Geborgenheit. So etwas wie Liebe. Die Frau sang für ihn in ihrer wundervollen Sprache und wiegte ihn damit, tief im Keller ihres Hauses, in den Schlaf. Es war eine Zeit des Friedens und des Glücks.
Bis eines Nachts, als Quintus gerade außer Haus war, der Meister seiner Familie einen Besuch abstattete.
Die Frau und das Kind warteten bereits an der Tür auf ihn, als er schließlich zurückkehrte – und gemeinsam mit dem Meister fielen sie über ihn her. Im darauf folgenden Kampf gelang es Quintus, seine Familie zu erlösen, doch dem Ansturm des Meisters konnte er sich nur schwer erwehren. Damals befand sich der Meister im Körper eines für seine Grausamkeit bekannten Legionärs namens Tacitus. Normalerweise gab es in der Armee keine Legionäre, die kleiner als ein Meter achtzig waren, aber bei Tacitus hatte man eine Ausnahme gemacht: Er war stark wie ein Ochse. Die riesigen Schultern und der wuchtige Rücken verliehen ihm das Aussehen eines Buckligen, doch jetzt, da er über dem niedergerungenen Quintus stand, wirkte er wie ein Held aus einer griechischen Sage.
Quintus war allerdings auf diesen Moment vorbereitet; so sehr er ihn gefürchtet hatte, so sehr hatte er ihn auch herbeigesehnt. In seinem Gürtel war ein kleines Silbermesser versteckt, so platziert, dass es seine Haut nicht berührte, aber dass er es trotzdem schnell herausziehen konnte. Und genau das tat er nun: Er zog das Messer aus dem Gürtel und zerschnitt Tacitus das Gesicht. Kreischend presste sich der Legionär die Hand auf das rechte Auge, aus dem weiße Flüssigkeit strömte, sprang durch das Fenster und verschwand in der Dunkelheit.
Als seine Wunden schließlich geheilt waren, spürte Quintus eine Einsamkeit in sich, die ihn nie wieder verlassen sollte. Und so schwor er der Kreatur, die ihn erschaffen hatte, ewige Rache – auch wenn der Tod des Meisters seinen eigenen Tod bedeutete.
Viele Jahre später – das Christentum hatte sich inzwischen in Europa ausgebreitet – ging Quintus zu den Alten und erklärte, dass er nun seine Herkunft akzeptiert hätte. Er bot ihnen all seinen Besitz, all seinen Einfluss und all seine Kraft an – und sie begrüßten ihn als einen der ihren. Er warnte sie auch vor dem Meister, und sie schienen sich durchaus über dessen Bösartigkeit im Klaren zu sein, aber sie vertrauten auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit und ihre in vielen Jahren erworbene Weisheit.
Jahrhundertelang ließ Quintus – irgendwann änderte er den Namen in Quinlan – nichts unversucht, um am Meister Rache zu üben. Doch in all der Zeit kam er ihm nie näher als in jener Nacht in Tortosa im heutigen Syrien – der Nacht, in der der Meister Quinlan zum ersten Mal »Sohn« nannte.
Du kannst nicht gegen mich gewinnen, mein Sohn. Bring mich zu den Alten. Hilf mir, sie zu vernichten, und nimm deinen Platz an meiner Seite ein. Sei der Prinz, als der du geboren wurdest …
Quinlan und der Meister standen am Rand einer Klippe, die den Ausblick auf eine riesige römische Totenstadt bot. Der Blutgeborene wusste, dass es von dort für den Meister, der sich im gedrungenen Körper eines Eisenschmieds befand, kein Entkommen gab – die Strahlen der aufgehenden Sonne brannten sich bereits in seine Haut. Doch die Worte des Meisters waren völlig unerwartet gekommen, und Quinlan fühlte sich, als wäre jemand in seinen Kopf eingedrungen. Und er fühlte sich – für einen kurzen Moment, den er für den Rest seines Lebens bereuen sollte – wieder geborgen. Dieses Geschöpf, das dort vor ihm stand, war sein Vater, sein wirklicher Vater … Für
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