Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
Sklavin war schwanger … Thrax schlug ihr brutal ins Gesicht, so dass sie zu Boden fiel. Dann griff er nach dem goldenen Dolch, der neben der Früchteschale lag. Er wollte ihr die Klinge ins Genick rammen, doch die Sklavin riss in letzter Sekunde den Arm hoch, und so durchtrennte er ihr nur einige Muskeln. Er holte erneut aus, aber wieder wehrte sie ihn ab. Obwohl er schnell und geübt war, konnte er seine über Jahrhunderte erlernten Kampfkünste in diesem halbwüchsigen, schwachen Körper nicht zur Anwendung bringen.
In diesem Moment entschied der Meister, nie wieder in einen Körper zu wechseln, der jünger als dreizehn Jahre war.
Während ihr das Blut aus den Wunden floss, weinte die Sklavin heftig und flehte ihn an, ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes zu verschonen. Sie rief ihre zahlreichen Götter an. Aber menschliches Flehen hatte keinerlei Bedeutung für den Meister – außer als liebgewonnene Untermalung seiner Nahrungsaufnahme.
Plötzlich jedoch klopften die Wachen an die Tür. Sie hatten strikten Befehl, sein wöchentliches Ritual nicht zu stören, und kannten seine Grausamkeit – also mussten sie einen wirklich wichtigen Grund haben. Der Meister öffnete die Tür und ließ sie ein. Nach vielen Monaten Palastdienst waren die Soldaten längst an den blutigen Anblick in Thrax’ Räumen gewöhnt. Sie berichteten, dass Caligula ein Atten tat überlebt hatte, und überbrachten den Wunsch des Kaisers, Thrax in dieser schweren Stunde an seiner Seite zu haben.
Dem Meister war bewusst, dass die Sklavin und das Kind in ihrem Bauch getötet werden mussten, aber er wollte dieses Vergnügen nicht den Wachen überlassen, also befahl er ihnen, seine Räume abzuriegeln, bis er zurück war.
Wie sich herausstellte, war das angebliche Attentat nichts als ein Produkt der hysterischen Phantasie des Kaisers – was allerdings nicht verhinderte, dass sieben unschuldige Teilnehmer der nächtlichen Orgie hingerichtet wurden –, und so konnte Thrax schon bald in seine Gemächer zurückkehren. Doch während er den Sonnengott beschwichtigt hatte, hatten die Offiziere, um den vorgeblichen Staatsstreich niederzuschlagen, den Palast räumen lassen.
Die schwangere, verwundete, infizierte Sklavin war verschwunden.
Noch bevor die Sonne aufging, überredete Thrax Caligula, Soldaten in alle Himmelsrichtungen zu senden, um die Sklavin aufzuspüren und in den Palast zurückzubringen. Doch selbst unter der Androhung schwerster Strafen gelang es den Männern nicht, das Mädchen zu finden. Als es wieder Nacht wurde, machte sich Thrax schließlich selbst auf die Suche, aber aufgrund ihrer Schwangerschaft war seine mentale Verbindung zu ihr nicht stark genug. Damals war der Meister nur wenige hundert Jahre alt, und es kam durchaus vor, dass ihm Fehler unterliefen. Diesen einen Fehler jedoch sollte er sich nie verzeihen.
Im ersten Monat des neuen Jahres wurde Caligula dann tatsächlich Opfer eines Mordanschlags. Sein Nachfolger Claudius kam durch die Unterstützung der Prätorianer ins Amt – und der grausame Sklave Thrax, der Günstling Caligulas, fiel in Ungnade und musste aus dem Palast fliehen.
Die schwangere Sklavin zog es unterdessen nach Süden, zurück in ihr Heimatland, zu den Menschen, die sie liebte. Und dort gebar sie einen Sohn, dessen blasse, beinahe durchsichtige Haut im Mondlicht wie Marmor schimmerte. Er kam in einer Höhle inmitten einer Olivenplantage auf Sizilien zur Welt, und auf dieser trockenen Insel blieben sie die nächsten Jahre. Und jagten. Doch obwohl sie sich beide von menschlichem Blut ernährten, fehlte dem Jungen das Gen, das es ihm ermöglichte, seine Opfer zu verwandeln. Er war ein Bastardkind, ein Blutgeborener. Er war halb Mensch, halb strigoi und konnte sich sogar für einige Zeit dem Sonnenlicht aussetzen, ohne dass die Strahlen ihn verbrannten. Und noch etwas unterschied ihn von den anderen Vampiren: Er war seinem Schöpfer nicht hörig.
Sollte allerdings der Meister eines Tages vernichtet werden, so würde das auch sein Ende bedeuten.
Im Laufe der Jahre, während der Junge heranwuchs, verbreiteten sich im Mittelmeerraum die Gerüchte über einen Dämon, der im Süden Italiens sein Unwesen trieb. Gerüchte, die auch dem Meister zu Ohren kamen …
Eines Tages – er war gerade zehn Jahre alt – kehrte der Junge kurz vor Sonnenaufgang in seine Höhle zurück. Und spürte dort eine Präsenz. Im Schatten der Höhle lauerte ein noch dunklerer Schatten. Bewegte sich. Beobachtete ihn. Dann
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