Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
hat.«
»Und wo verdammt noch mal« – Nora senkte die Stimme – »hat sie den Pfirsich her?«
»Schwangere haben Anspruch auf die beste Versorgung. Außerdem müssen sie während der Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt kein Blut abgeben.«
Gesunde Babys … So sorgten die Vampire für Nachwuchs. Und für frisches Blut.
»Sie gehören übrigens zu den Glücklichen, Miss Rodriguez«, fuhr Sally fort. »Zu den zwanzig Prozent der Bevölkerung mit Blutgruppe B positiv.«
Das wusste Nora natürlich. Und sie wusste auch, dass die Menschen mit B positiv lediglich etwas gleichere Sklaven waren als die übrigen. Ihre »Belohnung« waren Internierung, regelmäßige Blutabgabe und erzwungene Fortpflanzung. »Aber wie können sie nur ein Kind in diese Welt setzen?«, flüsterte sie. »Hier, in diesem Lager?«
Noras Worte waren Sally ganz offensichtlich unangenehm. »Sie werden bald erkennen, dass ein Kind zu bekommen eines jener Dinge ist, die das Leben hier erträglich machen, Miss Rodriguez. In einigen Wochen denken Sie bestimmt ganz anders darüber. Ja, vielleicht freuen Sie sich dann sogar darauf.« Sally schob den Ärmel ihres Overalls hoch. Braunviolette Flecken kamen zum Vorschein, die wie überdimensionale Moskitostiche aussahen. »Jeden fünften Tag ein halber Liter.«
»Ich wollte Sie nicht persönlich angreifen. Es ist nur …«
»Ich bin Ihre Freundin, vergessen Sie das nicht. Ich will Ihnen helfen. Sie sind noch jung, Ihnen stehen alle Möglichkeiten offen. Sie können ein Baby bekommen, sich hier im Lager etwas aufbauen. Viele … sind nicht so glücklich.«
Nora versuchte, die Situation aus Sallys Sicht zu betrachten. Versuchte ihre Lethargie und Schicksalsergebenheit zu verstehen. Offenbar hatten die regelmäßigen Blutspenden und die schlechte Ernährung die Lagerinsassen so weit geschwächt, dass sie weder die Kraft noch den Mut zum Widerstand hat ten – und die Aussicht, ein Kind zu bekommen, war das Einzige, das sie noch mit Hoffnung und Stolz erfüllte.
Sally sah Nora mit festem Blick an. »Jemand wie Sie, der das alles so furchtbar findet, könnte die Vorzüge einer mehrmonatigen Abschottung von der anderen Spezies wohl durchaus zu schätzen wissen.«
Nora dachte erst, sie hätte sich verhört. »Abschottung? Sie meinen, es gibt keine Vampire in der Geburtsstation?« Sie blickte sich um. »Warum nicht?«
»Ich weiß nicht. Es ist eine strikte Regel. Keine Vampire.«
»Was für eine Regel soll das denn sein? Müssen die Schwangeren von den Vampiren ferngehalten werden – oder die Vampire von den Schwangeren?«
»Wie gesagt: Ich weiß es nicht.«
Plötzlich ertönte ein Geräusch, das wie eine Türklingel klang, und wie auf Kommando legten die schwangeren Frauen das Obst oder die Bücher zur Seite – was immer sie gerade in der Hand gehalten hatten – und erhoben sich schwerfällig.
»Und was passiert jetzt?«, fragte Nora.
Auch Sally war sichtlich nervös. »Der Lagerverwalter besucht die Station. Ich rate Ihnen, sich ihm gegenüber von Ihrer besten Seite zu zeigen.«
Von der besten Seite zeigen? Im Gegenteil – Nora dachte eher daran, so schnell wie möglich abzuhauen. Sie sah sich nach einer zweiten Tür um, einem Fluchtweg, aber es war zu spät: Schon betraten mehrere Männer in Anzügen den Raum, wie man sie früher in Banken oder Behörden angetroffen hatte. Sie blickten die Schwangeren mit kaum verhohlener Verachtung an; ihr Auftritt wirkte wie die Zelleninspektion in einem Gefängnis.
Unter ihnen waren auch zwei Vampire, wahre Hünen, an deren Armen noch die Tattoos aus früheren, menschlichen Tagen zu erkennen waren. Ehemalige Sträflinge, vermutete Nora, die jetzt als Gefängniswärter Karriere machten. Noch absurder allerdings schien ihr, dass die beiden Regenschirme in der Hand hielten, von denen es auf den Teppich tropfte. Vampire mit Regenschirmen …
In diesem Moment betrat der letzte der Männer den Raum. Ganz offensichtlich der Verwalter. Er trug einen strahlenden weißen Anzug, auf dem kein Schmutzfleck zu erkennen war. Also waren die beiden tätowierten Vampire seine persönliche Eskorte – sie achteten darauf, dass er nicht nass wurde.
Der Verwalter war ein älterer Mann mit millimetergenau gestutztem Bart an Oberlippe und Kinn – was ihm die Aura eines teuflischen Großvaters verlieh – und etlichen Medaillen am Jackett, die einem Kommandeur der US Navy zur Ehre gereicht hätten.
Es dauerte einen Moment – dann erkannte Nora ihn. Und
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