Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
stand einige Meter entfernt an einer Hauswand, die Augen geschlossen, im Stehen von silbernem Licht träumend. Vasiliy und Nora hatten die Köpfe zusammengesteckt, während Gus mürrisch auf und ab tigerte. Der Mexikaner war wütend, weil sich Joaquin geweigert hatte, mitzukommen – er wollte lieber losziehen und »Bruno rächen«, was nichts anderes hieß, als Vampire abzuschlachten.
Das unterirdische Quietschen des Zuges riss Eph aus seinem Tagtraum, und sie gingen die Treppe zur Station hinunter, als wären sie ganz normale Pendler, die sich beeilten, vor dem Mittagslicht schnell nach Hause zu kommen. Sie stiegen in einen Zug der Linie 1 und schüttelten sich den Regen von den Mänteln. Als sich die Türen geschlossen hatten, inspizierte Eph unauffällig den Waggon. Keine strigoi . Beruhigt schloss er wieder die Augen und träumte weiter, während sie durch Manhattan fuhren.
Auf Höhe der 59th Street stiegen sie am Columbus Circle aus, liefen die Treppe hinauf und warteten in der Lobby eines ausgebrannten Apartmentgebäudes, bis sich endlich – wie das dumpfe Licht einer Taschenlampe hinter einem dunkelgrauen Leintuch – die Sonne am Himmel zeigte. Dann traten sie hinaus auf die leergefegten Straßen. Gingen an Cafés und Läden vorbei, deren Schaufenster während der Unruhen vor zwei Jahren eingeworfen worden waren. Erreichten den Columbus Circle, auf dem schon lange keine Autos mehr fuhren. Während der Ausgangssperre wirkte die Stadt wie früher an einem Sonntagmorgen – als würden die New Yorker einfach mal wieder ausschlafen. Obwohl Eph wusste, dass das pure Fantasie war, versuchte er, diesen Gedanken festzuhalten …
… als plötzlich etwas über ihre Köpfe zischte.
»Was zur Hölle …«
Der Knall ertönte erst einen Moment später – der Schütze musste also ein ganzes Stück von ihnen entfernt sein, irgendwo in Richtung Central Park.
»In Deckung!«
Sie rannten die Straße hinunter, allerdings ohne in Panik auszubrechen. Schüsse bei Tageslicht bedeuteten: Menschen. Und in den Monaten nach dem Umsturz hatte es weitaus mehr menschlichen Wahnsinn auf den Straßen New Yorks gegeben als Gewehrschüsse auf Passanten: Massensuizide, Massenmorde. Jetzt allerdings sah man während des Mittagslichts praktisch niemand mehr auf den Straßen; die Verrückten waren beseitigt, und der Rest befolgte die Regeln der neuen Herren.
Drei weitere Schüsse. Zwei trafen einen Briefkasten, an dem sie gerade vorbeiliefen, der dritte Vasiliys Schulter. Die Kugel durchschlug glatt seinen Körper, der Kammerjäger fiel zu Boden, Blut lief über seine Brust. Aber offenbar waren weder Herz noch Lunge getroffen worden. »Verdammt! Los, weiter, wir müssen weg hier!«, presste er hervor. Nora und Eph halfen ihm auf, er legte die Arme um die beiden, und so liefen sie weiter, bis sie schließlich in die 56th Street einbogen.
Keine Schüsse mehr. Niemand, der ihnen folgte.
Keuchend erreichten sie die Station der Linie F, gingen die Treppen hinunter und betraten den leeren Bahnsteig.
Nein, er war nicht ganz leer: Am hinteren Ende wartete Quinlan auf sie.
Als sie bei ihm waren, sah sich der Blutgeborene die verletzte Schulter des Kammerjägers an. Es ist nicht mehr weit. Hältst du durch?
Vasiliy nickte. »Hab schon Schlimmeres erlebt.« Tatsächlich hatte er sich in den letzten zwei Jahren dreimal eine Kugel eingefangen: zweimal, als er in Europa unterwegs gewesen war, und einmal auf der Upper East Side nach der Ausgangssperre.
Sie stiegen auf die Gleise hinunter, legten die Nachtsichtgeräte an und betraten den Tunnel. Obwohl während des Mittagslichts in der Regel keine Züge fuhren, blieben sie wachsam – die Vampire konnten sich hier unten zu jeder Zeit des Tages frei bewegen.
Doch offenbar waren sie allein. Ephs Blick fiel auf die unzähligen Graffitis an der rechten Tunnelwand. Botschaften einer vergangenen Ära, die mehr und mehr verblassten … Es dauerte nicht lange, bis Quinlan stehenblieb, ein kleines Sicht fenster in einer massiven Eisentür aufschob, die Hand hindurchsteckte und einen Hebel betätigte, der die Tür öffnete.
Dahinter lag ein Betonkorridor, der sie zu einer zweiten Tür führte. Doch anstatt diese ebenfalls zu öffnen, bückte sich Quinlan und zog eine perfekt getarnte Falltür im Boden auf, hinter der eine schmale Steintreppe zum Vorschein kam.
Gus ging als erster, dann halfen Eph und Nora Vasiliy hinunter, und schließlich schloss Quinlan die Luke wieder hinter sich. Die Treppe
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