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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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lässt die Lust verenden. Sie sehen an meiner ungehörigen Spekulation: Ich habe getrunken. Hoffen Sie nicht darauf, dass ich den Brief nicht absenden werde. Ich habe getrunken, fünf Gläser schwarzen Pinot in der Sonne. Hitze und Wein. Ich fühle mich schwer und zufrieden. Charisia hat noch immer die Läden ihrer Fenster nicht geöffnet. Warum haben Sie damals in Prag mit Liliane geschlafen? Warum kann ich das nicht vergessen? Warum überdeckt das Alter mit seinen eigenen Schmerzen jeden Schmerz meiner Jugend, nur diesen einen nicht? Warum kann ich Ihnen nicht verzeihen? Ich werde jetzt zu meinen Hunden gehen, im kühlen Schattenzimmer Mittagsruhe halten und dann fortfahren, Ihnen, wie ich versprochen habe, die Zerstörung des Geldes zu erklären – obwohl ich glaube, dass eben diese Zerstörung Sie am Ende glücklich machen wird. Ja, glücklich. Denn Sie werden frei sein von der Sorge um die Vermehrung Ihres Kontenbestandes, wenn Sie erst begriffen haben, dass es dabei bloß um Ziffern geht.
    Die Wolken ziehen wie letzte Reste meines aufgelösten Schlafs über die Terrasse, streichen über mich, meinen kleinen Tisch und den doppelten Espresso hin als fliegende Schatten. Ich bin nun wieder vernünftig, verehrter Reicher. Ich werde ein paar Besorgungen erledigen, der Gang hinunter zu Signora Calise und wieder herauf wird mir gut tun. Danach setzen wir wieder ein, wo meine Weinlaune den Gang der Geschichte unterbrochen hatte.
    Die Insel also. Stieftaal im Boot aufs Land zu. Anna dort wartend zwischen ihren Gemüsekörben. Ich stellte mich unter die Uferweiden wie ein Kind, das heimlich eine Begegnung seiner Eltern beobachtet. Er half ihr drüben ins Boot, sie kauerte sich am Bug. Er lud die Körbe ein. Langsam glitt der Kahn auf die Insel zu. Ich trat aus dem Weidenschatten und setzte mich auf den Steg, ließ die Beine baumeln. Das Licht versank im See, und je näher das Boot kam, um so mehr nahm ich die Dämmerung wahr, als zöge der Kahn die Nacht hinter sich her auf die Insel zu. Keiner der beiden begrüßte mich bei der Ankunft, keiner fragte. Sie nickten mir zu wie einem, den sie hier erwarteten. Stieftaal drückte mir den kleineren Henkelkorb in die Rechte, Anna ging zu meiner Linken, hakte sich unter, und langsam liefen wir, Stieftaal hinter uns beiden, zum Haus hinauf. Ich bemerkte in Annas Schritten ein leichtes Zögern, und mehrmals spürte ich an meinem Arm ihr kleines Gewicht, nicht deutlich, eher wie das einer Tanzpartnerin, die eines Hinweises auf eine geplante Drehung bedarf. Sie schloss das Portal auf, bat mich, den Korb in die Küche zu tragen. Ich hatte mich entschieden, folgsam zu sein, und widersprach nicht, als sie bestimmte: »Sie essen heute mit uns. Ich habe oben schon Ihr Zimmer bereitet. Es wird ja bald dunkel.« Ich sah, dass Stieftaal mich von der Seite beobachtete, bereit, Annas Anweisung zu unterstützen. Da ich die Einladung dankend annahm, beugte er sich, mit meiner Gefügigkeit zufrieden, über die Körbe und packte sie aus. Anna bereitete einen Gemüseeintopf. Während der Terrorist Stieftaal Lauch und Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln und Knoblauch, die Auberginen und die Zucchini schälte, schabte und klein schnitt, fuhr Anna die an der Eisenstange über dem Herd hängenden Geräte und Töpfe mit ihrer Hand ab wie ein Glockenspiel, hielt an einem Seiher an, glitt zurück, fasste den Henkel einer Kasserolle, griff zu, hob sie und setzte sie auf den Herd. Stieftaal war stets auf dem Sprung, ihr zu helfen, seine große Gestalt wendig und hilfreich, er reichte ihr Öl, Wein und Gewürze. Zum Essen trank er Wasser, bot sich an, für mich eine Flasche Roten zu öffnen, ich lehnte ab. Er redete in einem fort über Falling, die schlechte Qualität der Hotels, den Geiz der Leute, sprach verächtlich vom Gemeinderat, der zwar die Touristen gern sehe, die zur Gedenkstätte des Antimago kamen, aber keinen Pfennig zur Erhaltung des Gebäudes und der Insel beizutragen gewillt sei.
    Anna aß schweigend. Stand dann auf, holte ein frisches Gedeck, gab eine Kelle Gemüseragout auf den Teller, trug ihn hinaus. Stieftaal sah ihr nach, und als sie aus der Tür war, beugte er sich über den Tisch. »Sie bringt es in den Saal mit den Puppen, den Sie heute gesehen haben. Der Kardinal ist ihr Vater. Er hat Schaufensterpuppen gesammelt wie ein Irrer. Und Kostüme. Sie trägt ihm auf. Verstehen Sie? Nein? Anna ist ein bisschen gaga? Klar? Nein? Der Kardinal ist der Antimago. Kapiert? Nein? Er ist Annas Vater.

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