Die Nacht der Haendler
Gesten. Dann die Übergabe eines Schecks. Brend’amour ließ ihn in die Innentasche seines Jacketts gleiten und wandte sich der Versammlung zu. »Meine sehr lieben Freunde! Soeben sind sämtliche restlichen Bilder, elf der schönsten, verkauft worden. Die Bilder gehen nach Chicago.« Entzückensschreie, empörtes Murren, Enttäuschungsgeraune. Der Fremde reichte Liliane die Hand, sie flüsterte ihm die Titel zu, er notierte sie sich, lächelte höflich, übergab seine Visitenkarte. Plötzlich standen auch Sie neben Liliane, verehrter Freund, irgendwoher tauchten Sie auf, vielleicht hinter einer der Wände hervor, nahmen ihr die Visitenkarte ab – mit einer herrischen Vertraulichkeit, die mir das Blut in den Kopf trieb. Ich lief auf Liliane zu, sie sah mich an, umarmte mich lange, wieder zuckten die Blitzlichter. Ich löste mich von ihr, reichte Ihnen die Hand, deutete Ihr Grinsen falsch, auch das Lächeln des Käufers aus Chicago, auch das Lachen von Yves Brend’amour – bis ich begriff, dass Lilianes weiße Körper-schminke meinen dunkelblauen Anzug in einen gewölkten Himmel verwandelt hatte. Sie, der siegreiche Nebenbuhler, waren es, der mich freundlich zwischen den Stellwänden in einen hinteren Galerie-raum, von dort in ein Badezimmer führte und mit einer fast dienerhaften Beharrlichkeit darauf bestand, meinen Anzug mittels eines feuchten Handtuches reinigen zu dürfen. Fast willenlos vor so viel Eifer ließ ich Ihre reibenden Berührungen über mich ergehen. Als wir aus dem Bad in die Räume des Galeristen zurückkehrten, waren dort die Käufer um Liliane, die inzwischen einen olivgrünen Kimono trug, in der gehobenen Stimmung einer Elite versammelt – unter ihnen jener Herr, der in seinem schönen Kopf die ersten Produkte des Kephalismus in die USA bringen wollte. Sie erinnern sich an seinen Namen: Jens Jakob von Tonnda – ja, eben der, der Ihnen in einem meiner früheren Briefe als Sir Dschejdschej vorgestellt wurde; der Erfinder der Sonnenuhr ohne Schatten. Damals war er, was keiner von uns wissen konnte, im Auftrag der Antimagisten gekommen – denn nichts entsprach deren Ideologie so gut wie eine Bilderkunst ohne Bilder … Sie wissen vielleicht noch, dass wir dann gemeinsam im Äquator-Garten des Kugelhauses dinierten. Dass Liliane sich auf ihre übliche Art verabschiedete, diesmal nicht mit Ihnen, sondern mit Sir Dschejdschej, und dass wir beide uns darauf verständigten, Lilianes Kunst bestehe darin, sich selbst ebenso wie ihre Bilder verschwinden zu lassen. Gewiss erinnern Sie sich an die folgenden Wochen unseres mühsamen Lebens zu dritt, an die Abende in den Bars, wo keiner von uns beiden sicher sein konnte, mit wem Liliane in der Nacht davonziehen würde, mit Ihnen, mit mir, mit uns beiden, mit keinem, mit einem jungen Fremden oder, wenn sie dazu aufgelegt war, einer englischen Lady. Unter den weiblichen Gespielinnen waren ihr die aus Großbritannien die liebsten. Ich unterbrach mein Studium, Sie verspekulierten sich an der Börse, es war für uns beide – vielleicht auch für die Kopfkünstlerin – keine erfreuliche Zeit. Ich magerte ab, Sie verschwanden, eine Erbschaft in Boston vorschützend (vielleicht war es auch die Wahrheit), in die USA.
Dann trat die voraussehbare Katastrophe ein: Lilianes Ausstellung in Chicago – weiß Gott gut vorbereitet von Sir Dschejdschej, von Yves Brend’amour und von der Leitung der Pillip-Morris - Gallery . Die Zeitungen, die Fernsehprogramme, alles übte sich in der Deutung der neuen Kunst, für die sich in wenigen Wochen die Bezeichnung Kephalismus durchgesetzt hatte. Die Antimagisten führten verdeckt eine wahre Kampagne für Liliane. Doch dann schrieb der Papst der amerikanischen Kunstkritik, Lindsay Best , im New York Contempo über das Chicago-Ereignis. Eineinhalb Seiten Vernichtung. Erst behauptete er, sämtliche Bilder tatsächlich gesehen zu haben und denunzierte sie als esoterischen Kitsch, dann fragte er die Leser, ob sie auf ihn hereingefallen seien; er habe nämlich in Wirklichkeit nichts gesehen, gar nichts, weniger als nichts, er nannte die neue Kunstrichtung »Zeroism«, Nullkunst, der Kephalismus werde am Ende zu einer Literatur ohne Text, einer Musik ohne Töne, einer Architektur ohne Räume führen! Liliane Delaborde sei eine Schwindlerin, die mit Hilfe verrückter Europäer zu einer Gestalt der Zeitgeschichte aufgeblasen worden sei. Er schrieb von Scheinschwangerschaft, vom Verfall einer Gesellschaft, die all ihrer Maßstäbe
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