Die Nacht der Haendler
ich Ihnen kurz vor dem Einschlafen an den nachgiebigen Brüsten meiner Geliebten ein leises »Fuck Your Money« zurufen will – schweifen Sie mit mir noch einmal zurück zu jenem Augenblick meines letzten Briefes, wo ich wegen Liliane und meiner Eifersucht abzuirren begann: zurück zu den Bildern aus Prag im Monitor des Großen Antimago. Der Speicher des Fallinger Hauses … Boris Reeper unterbrach, angesteuert von mir, wie er begonnen hatte, die Darbietung. Die Karlsbrücke schrumpfte auf einen Punkt zu, der sich ins rechte obere Eck des Bildschirms auf das Festplattensymbol zurückzog. Und als habe er genug von mir, spuckte der Rechner die Schlüsseldiskette aus. Der Monitor wurde schwarz. »Hören Sie, Reeper«, rief ich, »ich weiß, dass Sie mich jetzt weiter beobachten, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie Sie das anstellen, vermutlich arbeiten Sie mit einer Reflexschaltung, es ist mir auch egal, ich finde Ihre Basteleien lächerlich. Wenn Sie sich also mit mir unterhalten wollen, dann ohne Tricks. Sie wissen so gut wie nichts von mir – aber ich weiß von Ihnen, dass Sie wahrscheinlich der bildersüchtigste Mensch der Welt waren und dem Rest der Menschheit Ihren Antimagismus nur gepredigt haben, um alle Bilder für sich zu behalten! Die Öffentlichkeit wird dies mit Interesse und Abscheu zur Kenntnis nehmen.« In diesem Moment leuchtete der Bildschirm, begleitet von einem hässlichen Zischen, auf, und aus der tiefen Mitte schoss der Kopf einer grün und golden blitzenden Schlange mit geöffnetem Rachen auf mich zu. Ich hatte ja einiges an Computeranimation und digitalem Faking kennengelernt – aber dieser Angriff geschah derart schnell und naturgetreu, dass ich aufsprang und zurückwich. Zwischen der Höhlung des Schlangengaumens und der Zunge stieg Reeper herauf, spazierte als kleines Männlein auf die Zungenspitze des Reptils, setzte sich in den Spalt, ließ die Beine baumeln und lachte. »Ein Wunder, dass ich mich hier halten kann, Heinrich! Sehr rutschig und sehr giftig, das Gelände. Sehen Sie nur, wie klein ich bin, und dennoch haben Sie Angst vor mir. Ich habe den Ausdruck dieses Gefühls fast vergessen, weil ich es schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr habe. Angst ist in meiner Identität nicht programmiert, wissen Sie? Wovor fürchten Sie sich? Vor einer gefakten Schlange? Armer Kerl. Hiervor sollten Sie sich ängstigen« – er wies in den schwarzen Rachen hinter sich, der sich langsam in den Innenraum eines Flugzeuges verwandelte. Reeper lief im Gang zwischen den Sitzen nach hinten und stellte sich neben einen Fluggast, der schlief. »Darf ich Sie bekannt machen mit meinem Freund Jatsu Tsin, einem der fähigsten Vulkanologen seiner Zeit? Er ist schon alt, darum schläft er viel. Aber er ist auf dem Weg zu Ihnen, und dann wird er außerordentlich wach sein.« Ich setzte mich wieder in den Stuhl und rollte ihn an den Rechnertisch. »Das weiß ich längst, Reeper. Sie vergessen, dass ich Ihnen etwas voraus habe: meine Phantasie. Ich habe längst gesehen , wie Sie Jatsu Tsin in seiner Behausung am Nakadake mit der Botschaft ETERNITY INVADER. NO PERMIT geweckt haben. Er folgte Ihrem Notruf nicht gerne, lieber wäre ihm gewesen, der Vulkan hätte ihm die Erlaubnis gegeben, dort zu bleiben, aber der Krater war stumm an jenem Morgen. Im übrigen sollten Sie sorgfältiger arbeiten. Die Maschine, in der Ihr Freund Tsin angeblich gerade schläft, ist eine MD 6 aus den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts, sie ist längst bei keiner Gesellschaft mehr in Betrieb. Ihr Bildmaterial ist veraltet.« Reeper schien einen Augenblick lang irritiert zu sein. Er nickte. Das Flugzeug verschwand vom Bildschirm, den zugleich das mir inzwischen vertraute Gesicht des Antimago füllte. Er sah nicht mehr ganz so hochmütig aus. »Nicht schlecht«, sagte er, »nicht ganz schlecht. Lassen wir’s gut sein für heute. Ich bin ein wenig erschöpft. Obwohl ich eigentlich seit Jahrzehnten unermüdlich bin. Ich muss erst aufarbeiten, eine Menge Material, was Sie mir heute in der Speicher geladen haben, während die kleine Prager Geschichte ablief, Dokument 7, ich hab noch immer meinen Spaß an Ihrer Eifersucht. Ich muss sortieren, zuordnen, ich werde die ganze Nacht zu tun haben. Verblüffend übrigens, was Sie heimlich von Sir Dschejdschej gedacht haben. Enttäuschend für mich, im wahren Sinn des Wortes. Nun ja.
Freundschaften zerbrechen. Gehen Sie jetzt. Und vergessen Sie die Schlüssel-DVD nicht. Hans könnte sie
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