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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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entblößt sei. Hinter der ganzen »Schweinerei«, so wörtlich, stecke die Sekte der Antimagisten, der spätestens jetzt, da sie sich an der Kunst vergreife, das Handwerk gelegt werden müsse. Und wenn ein in Europa so bedeutender Galerist wie Yves Brend’amour sich für dieses »Nuts-Program« hergegeben habe, dann zeige dies lediglich den Tiefstand der europäischen Kultur oder eine schwere Hirnerkrankung des alten Galeristen an. Nun endlich habe das böse Wort von der »Entarteten Kunst« seinen wahren Inhalt gefunden …
    So ging es in einem fort, ein Satz wütender als der vorhergehende. Abfälliger konnte man über Liliane nicht schreiben, die er vernichtend in Schutz nahm als ein »hübsches, blödes, gänzlich überflüssiges weibliches Wesen«, das lediglich von der »modischen Selbstüberschätzung der Frauen« verführt und von einigen »geilen männlichen Kretins zur Kunstmadonna« aufgebaut worden sei. Man könne ihr nicht einmal böse Absichten unterstellen, denn dazu sei sie einfach zu dumm. Jene hingegen, die sie promotet hätten, seien eine »Bande jämmerlicher Verbrecher«, und ihre gerechte Strafe sei das »im Mittelalter üblich gewesene, leider von unserer kunstfeindlichen Justiz nicht mehr vorgesehene Blenden , da sie ihre Augen ohnehin nicht zum Sehen benutzten…« Der Papst hatte gesprochen, und nahezu alle übrigen Kritiker, die den Kephalismus soeben noch begeistert als noch nie dagewesene Alternative bejubelt hatten, schlüpften eilig in seine Spur. Liliane, meldeten die Gazetten, habe einen Selbstmordversuch unternommen. Das war frei erfunden. Vier Wochen darauf las ich, dass Lindsay Best unter nicht geklärten Umständen von der Terrasse seines New Yorker Penthouses im neunzehnten Stock zu Tode gestürzt sei. Das entsprach den Tatsachen. Wenig später schrieb Liliane mir, sie habe mit Sir Dschejdschejs Hilfe die Werbeagentur MAKE in Los Angeles eröffnet. Ich hätte den Namen FAKE für ehrlicher gehalten. Sie bat mich, zu kommen – und sie zu heiraten. Von ihrer Kunst war nie wieder die Rede. Vom weiteren Gang meines Lebens wissen Sie, Herr Minister, das Wichtigste, anderes geht Sie nichts an oder hielte uns über Gebühr auf. Szimenjicz will ich noch erwähnen, mit dem Liliane ihre Agentur eröffnet hatte, den Planning-Director, der aus mehreren Gründen über mein amerikanisches Leben an Lilianes Seite nicht erfreut sein konnte. Erstens beherrschte ich das digitale Faking für unsere Bildmontagen besser als er, zweitens war ich ein Deutscher, und er hasste die Deutschen, die in der Geschichte seiner polnischen Familie eine entsetzliche Rolle gespielt hatten; drittens erwarb ich mir durch die Veröffentlichung kleiner Erzählungen in Zeitungen und einiger Gedichte im Poems Supplement der L. A. Review den, aufs Lokale begrenzten, Ruf von Kreativität – was Szimenjicz mit Neid und Spott begleitete. Viertens aber gab es den von Ihnen zurecht vermuteten Grund, der Lilianes Lebensweise entsprang: Ich verdrängte ihn aus dem Privatleben seiner Chefin … Dass er Antimagist war und Liliane überwachen sollte, über sie Berichte schrieb, die er verharmloste und zu Lilianes Gunsten verfälschte, bevor er sie an Sir Dschejdschej weitergab, erfuhr ich erst später. Ich wusste ja seinerzeit nicht einmal, dass die Werbeagentur MAKE im Grunde zum Firmenimperium Boris Reepers gehörte, und dass es der List Sir Dschejdschejs zu verdanken war, wenn Liliane mit Antimagistengeldern zugleich aus ihrem unseligen Kunstabenteuer errettet und vor der Einvernahme durch die engstirnigen Ideologen bewahrt wurde. Wie weit Sie selbst möglicherweise in diese Vorgänge verwickelt waren, will ich nicht ergründen. Aber Sie verstehen vielleicht, dass ich nach all den späteren Erfahrungen niemandem mehr vertraue und von allen annehme, sie könnten um des eigenen Vorteils willen irgendwelche Dienste geleistet haben und Verpflichtungen als Doppelagent eingegangen sein, deren Dimension meine Lebensvorstellungen überschreitet. Sie wären nicht der Erste, der auf beiden Schultern trug. Verrat wird ja nur im Kleinen verurteilt, im Großen gilt er als Dienst am Ganzen.
    Bevor Sie mit mir zurückkehren in das langsame Sterben meines jungen Freundes Giacco Calise, der schon Wolken-kurven in äußerster Schräglage auf seiner himmlischen Honda ausreibt und den brummenden Vierzylindergesängen seiner Lungenmaschine lauscht; bevor ich mich also heute von Ihnen verabschieden werde für den kurzen Weg zu Charisias Haus, wo

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