Die Nacht der Haendler
dunkel geworden im Oktogon, und ich nahm nur
noch Flächen von unterschiedlich tiefer Schwärze wahr.
»Du meine Güte!« rief Reeper vergnügt und sich scheinbar
selbst scheltend, »ich halte dich auf mit meinem Geplauder,
Anna wird längst warten, und du solltest vor dem Dîner unbedingt noch ausruhen. Es wird sicher sehr spät heute
Abend! Du bist selbstverständlich mein Gast, eine wunderbare Gesellschaft, ausgesucht angenehme Leute! Wir werden
opulent speisen und dann – das Tribunal! Hans Stieftaal! Ein
dummer Verräter, findest du nicht? Versucht doch tatsächlich, sich durch einen echten, stinkenden Tod seiner Strafe
zu entziehen … Eigentlich unwürdig. Er hat sich allerdings
einen guten Anwalt gewünscht. Einen gewissen Heinrich
Günz! Ich hoffe, du bist so gut, wie Hans es verdient. Es ist
sozusagen dein Debüt in unserer Runde! Und wir wollen
schließlich alle unseren Spaß! Bitte streng dich an – du hast
gesehen, die Spitze meiner Pyramide ist noch etwas stumpf,
es fehlt eine letzte Kassette, die Nummer neuntausendvierhundertdreiunddreißig. Ich wäre glücklich, wenn wir sie
heute Nacht aufzeichnen könnten! Wir werden Hans in jeder, unserer Phantasie gefälligen Form der Strafe einspeichern. Du hast es in der Hand, wie sein Weiterleben aussehen wird! Bedenke, Heinrich, welch ein Ruhm dir winkt! Du könntest das Allerwirklichste krönen … Und irgendein Kohlweißling, um ihn dir aufs Haupt zu packen, wird sich auf dieser Insel wohl noch finden lassen.« Damit zog er mich hinter sich her durch die Nacht auf das Haus zu. Alle Fenster waren erleuchtet, von Nachtfaltern umschwärmt, auch das große Giebelfenster, hinter dem ich im Speicher jenen zweiten Heinrich wusste, der vermutlich mich für seine Kopie hielt, während ich sicher war, dass er nur ein Alias ist, ich aber der ihn steuernde, der wahre Heinrich bin.
Sie zweifeln, Minister Cognac? Natürlich! Es ist Ihre Aufgabe zu zweifeln, wer über Geld verfügt, ist darauf angewiesen, sauber zwischen der Fiktion der Summen und der Realität der Werte zu unterscheiden, was gegenwärtig ja nicht mehr zu gelingen scheint. Sie zweifeln gewiss auch an der Realität meiner geistigen Gesundheit. Warum erst hier? Hatte ich Ihnen nicht in meinem allerersten Brief bereits offen von meinem Schwanken bezüglich der Wirklichkeit, in der ich lebe, berichtet? Von meinen quälenden Fragen an die Landschaft, die ich sehe? Hatte ich Ihnen nicht geschrieben von »schrecklichen Augenblicken der Ungewissheit« und davon, dass meine Hunde »nicht ahnen, wie froh ich für ihre keinem Befehl unterliegenden Bewegungen bin«? Haben Sie diese Botschaften überlesen oder als Koketterie eingeschätzt und in den Wind geschlagen? Oder wollten Sie nichts davon hören, dass die Tiere sich schwerer programmieren lassen als die Menschen? Und wollten Sie nicht wissen, warum dies so ist – denn unter uns gesagt, hieße dies ja zugleich, sich die naheliegende weitere Frage zu stellen, warum die Hunde kein Geld erfunden haben? Und nicht nur ihre domestizierte Gattung nicht. Auch die so hoch organisierten Ameisen verzichten auf jede Illusion pekuniärer Art! Warum ist das ganze, hoch kompliziert miteinander vernetzte Reich der Fauna nicht auf den Umweg des Wertetauschs verfallen, den wir Geld nennen? Sondern vervielfältigt sich einfach nach Nützlichkeit, fügt sich in einen Kreislauf wechselseitigen Fressens und Gefressenwerdens, und gleicht diesen auch noch ohne Mühe mit dem nicht weniger dicht vernetzten Kreislauf der Flora gewissermaßen rechnerisch ab! Wer tut dies, wenn es die Tiere nicht tun? Wer tut es mit ihnen, wir jedenfalls nicht, oder? Wären Sie so gütig, mir in einem der nächsten Briefe die Frage zu beantworten, was denn den Hunden fehlt zur Stufe des Menschen außer dem Geld? Oder anders: was außer dem Geld uns denn von ihnen unterscheidet? Ah, so dumm sind Sie nicht, Sie kennen die Antwort, die ich erwarte: Es unterscheidet uns von der Fauna das Wissen um den eigenen Tod. Sonst nichts. Dass wir, geboren, auch sterben werden. Deswegen haben wir etwas gesucht, was uns überleben soll. Und was ist das? Weil wir wissen, dass wir sterben, haben wir das Geld erfunden. Und weil wir das Geld erfunden haben, glauben wir, wir überdauerten mit seiner Hilfe unseren Tod. Die Gleichung einer törichten Illusion. Keinem Hund, nicht dem räudigsten Straßenköter, der neben den Müllbergen von Buenos Aires sich mühsam durchfrettet, würde es einfallen, einen gefundenen
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