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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Dollarschein zwischen die Zähne zu quetschen und ihn aufzubewahren für seine Kinder … Er würde ihn höchstens auffressen, wenn er durch fettige Hände gegangen ist und nach Fleisch riecht. Ich könnte meinen beiden Hunden, gesetzt ich verfügte darüber, einen ganzen Haufen Gold auf meine Terrasse türmen, sie würden vielleicht daran schnüffeln und sich dann abwenden, denn jedes Gelege Eselscheiße interessiert sie mehr als das Gold, mit dem sie sich doch in eine kalifornische Hundepension einkaufen könnten … Sie wissen einfach nicht, dass dieser Haufen Gold meint, flohfreie Betten und jeden Tag Hühnerleber oder Kalbsbries oder Lammnieren oder eine für sie veranstaltete Jagd auf junge Kaninchen beanspruchen zu dürfen, der Haufen Eselsbollen ihnen aber außer der Gewissheit, dass da ein Esel auf den Weg geschissen hat, gar nichts einbringt. Aber sie wissen nicht, dass sie sterben werden, und so leben sie mit dem Blick auf meine Hände von einem zum nächsten Tag, durch Geld nicht zu bestechen, in kein Programm integrierbar – und dumm. Das wusste schon der alte Heraklit: »Esel würden auf Spreu mehr Wert legen als auf Gold.« Auch die Erkenntnisfähigkeit meiner Hunde beschränkt sich demgemäß auf den Augenblick. Deshalb sind sie nicht programmierbar. Sie leben im Zufall – man kann sie gleichsam nur aleatorisch mitlaufen lassen … Und eben dafür liebe ich sie.
    Vor wenigen Tagen schlugen sie beide laut und grimmig an, was sie sehr selten tun, und ich sah einen schwer mit Wäsche-ballen und Teppichen bepackten, mehr von der Aussichtslosigkeit seiner Mühen als vom Gewicht seiner Waren ermüdeten Händler den Weg heraufwanken.
    Die Hunde warteten, bis er sich meiner Terrasse auf einige Meter genähert hatte, stürzten dann auf ihn los, stellten ihn, und ihr tiefes Gebell mischte sich mit dem hässlichen Knurren, das sie uns fremd macht. Es klingt da sehr ferne Vergangenheit auf. Der Händler stand wie angewurzelt. Er warf seine Teppiche von sich, und versuchte, die Ballen mit Weißwäsche vor sich schwingend, meine Hunde auf Abstand zu halten. Aus dem Fenster meiner Küche habe ich die Szene mit, sagen wir, wissenschaftlichem Vergnügen betrachtet. Die verzweifelten Abwehrbewegungen des dunkelhäutigen, verschwitzten Burschen machten meine beiden Münsterländer nur wilder. Sie stellten ihn wie einen Hirsch. Und er benahm sich wie ein Mensch. Ein Hirsch hätte stillgehalten und den ihn einkreisenden Hunden in die Augen geblickt, sie hätten sich verständigt über den Augenblick – Tod oder Leben. Nie wäre dem Hirsch eingefallen, ihnen Geld für sein Leben anzubieten. Aber der braune Bursche warf ihnen seine Waren vor und fuchtelte in der Luft herum, was die Hunde als Kampfgesten verstanden, obgleich der Händler sich mit seinen wilden Handbewegungen nur gegen die Fliegen wehrte, die ihn umschwirrten und ihm die Sicht nahmen, meine Hunde sich jedoch mit Fußtritten vom Leib zu halten suchte. Er schrie sie in einer mir unverständlichen Sprache an, und wenig fehlte, er hätte sich zur Flucht gewandt und mir seine Teppiche und Ballen auf der Terrasse zurückgelassen, um sein nacktes Leben zu retten. Freilich fehlte ihm selbst dafür der Mut, und so hatte ich Gelegenheit, die Szene des verängstigten Händlers und meiner Hunde zu genießen, die den armen Kerl, ohne ihn anzufallen, in unaufhörlicher Bewegung hielten. Wozu gewiss auch die Fliegen ihren Teil beitrugen: ein hüpfendes, fluchendes Menschenwesen im Sonnenlicht, überströmt von Schweiß, das Gegenteil der Schöpfungskrone … Endlich langweilten mich Gekläff und Geschrei, und ich ging hinaus, stellte mich nah der Treppe hinter das kleine Marmortischchen, an dem ich Ihnen zu schreiben pflege, rief die Hunde zu mir, sie folgten und ließen sich hechelnd zwischen mir und dem Händler nieder, der noch einen Augenblick lang nicht glauben konnte, dass er erlöst war. Erstaunlicherweise störten ihn sofort auch die Fliegen nicht mehr, sie ließen sich in seinem Haar nieder, einige schlossen sich den Hunden an. Ich konnte in seinem Gesicht lesen. Warum ist der Kerl so spät gekommen, dachte er. Er ist bestimmt einer von den Reichen, die sich lustig machen über unsereinen, wahrscheinlich weidet er sich an meiner Angst, er weiß, dass ich kein Europäer bin, er ist ein Rassist, natürlich, das sind sie alle. »Die Hunde tun niemandem etwas«, sagte ich, »kommen Sie her, Sie sollten sich ausruhen.« Der Händler schüttelte den Kopf. Er verstand

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