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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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magnetisierbare, nicht digitalisierbare Etwas, wofür Anna gebetet hatte – meine Seele! Auch allen anderen, die ich gespeichert hatte, allen Freunden und Fremden, fehlte – ihre Seele! Damals erschrak ich, denn ich fühlte, dass es mir niemals gelingen würde, etwas so Aleatorisches, so Unberechenbares wie eine Seele zu programmieren. Ich stand da wie Prometheus vor seinen aus Lehm geformten Geschöpfen: Sie waren ihm gleich, er liebte sich in ihnen – aber sie waren ohne Seele. Ein Jahr lang beschäftigte mich dieser Gedanke bis zur Raserei. »Ich –« er unterbrach sich plötzlich und deutete auf eine Stufe vor uns – »da, sieh, ein Mirabellenfalter aus Kreta, pures Gold und leichter als Seide!« Er besann sich und fuhr fort. »Ich fragmentierte mein EGO , ich entfernte aus dem Bildprogramm alle äußeren Erkennungsmerkmale, ich reduzierte es bis auf den nackten Kern, bis kurz vor dem Zusammenbruch des Programms, gleichsam auf seine bloße Erinnerung, dass an der Stelle, an der gerade noch meine Gestalt alle Regeln beherrschte, Platz bleiben musste für die Rückkehr – aber ich fand an der Stelle nichts, was ich Seele hätte nennen können. Es gab nur einen Ausweg: Ich musste sterben. Verstehst du? Wenn die Theologen recht hatten, wurde die Seele dabei frei. Hatten sie aber nicht recht, lebte ich in meinem Programm ebenso gut ohne Seele weiter wie in der seelenlosen Realität. Dann war alles nur Einbildung, und ich war draußen wie drinnen vollkommen . Hatten sie freilich recht … – so musste ich in meinem Programm sterben, um die Seele gleichfalls in meinem Programm als Information zu behalten! Das schien mir nichts weniger als logisch. Aber du wirst zugeben, dass ich damit vor einem nicht unerheblichen Formatierungsproblem stand … Und was, wenn es misslang? Was, wenn ich im Programm blieb, meine Seele sich aber den Teufel darum scherte, wo sie war und einfach auf und davonflog? Oder aber, und dies machte mir mehr Sorgen, wenn sie eine so umfangreiche und komplizierte Informationsmenge darstellte, dass kein Speichermedium keines Computers der Welt für sie ausreichte? Es war Dschejdschej, unser guter von Tonnda, der alte Renegat und Doppelspieler, der mir damals riet, es sicherheitshalber zunächst einmal mit dem Mythos zu versuchen und dann erst an die Frage der Seelenspeicherung zu gehen. Ich wusste ja, dass er sich längst von der Fotoindustrie hatte kaufen lassen, aber, verdammt noch mal, ich liebte den versoffenen Kerl, ja, damals liebte ich noch, er gehörte immerhin zu den Kämpfern der ersten Stunde, und irgendwie mochte er mich auch, und irgendwie auch immer noch die Idee, außerdem war er ein brillanter Kopf … Jetzt säuft er nicht mehr und ist ein seniles, um sein Seelenheil besorgtes Männlein geworden. Du kennst ihn ja … Er sandte mir das kleine Bild eines römischen Medaillons: Die Göttin Minerva ist darauf zu sehen, wie sie die Geschöpfe des Prometheus belebt. Sie gibt ihnen eine Seele. Man sieht sie vor einer seiner Lehmfiguren stehen und ihr einen Schmetterling auf das Haupt setzen … Und so nähte Anna das Samtkleid für die Pyramide, damit sie innen absolut dunkel war wie ein Körper und legte Jahr für Jahr die gefangenen Schmetterlinge auf die Stufen. Anna-Minerva! Ich war weit entfernt davon, überzeugt zu sein, aber ich hatte auch keine Argumente gegen diese Beseelungsmethode der Bilder …
    Es dauerte fast drei Jahre, bis ich die Veränderung bemerkte. Ich spürte, wenn ich hier war, wie die Seelen allmählich eindrangen in den Bau, wie sie sich auf den Kassetten niederließen und sich verteilten über die Videobänder, ich stellte sie mir als eine Art Gas vor, das langsam, sehr langsam alle Winkel und Ritzen der Pyramide durchdrang – und zur selben Zeit beseelten sich die gespeicherten Geschöpfe, die ja noch einmal im Computer in derselben Anordnung existierten, in gleicher Weise – was sich, wie ich bald herausfand, bei ihnen darin äußerte, dass sie anfingen, sich vor mir zu verneigen oder das Knie zu beugen oder mich zumindest ehrerbietig grüßten, wenn wir uns in den Dokumenten begegneten! Sie waren tatsächlich verändert! Aber das Programm meines Lebens, lieber Heinrich, das Dokument EGO befindet sich im trigonometrischen Mittelpunkt des Baus, und niemand weiß, wie viele Jahrhunderte oder vielleicht Jahrtausende es dauert, bis das unwägbare Seelengewicht der Schmetterlinge in dieses Zentrum eingesunken sein und mein EGO erreicht haben wird! Ich habe grobe

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