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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Berechnungen angestellt und wieder verworfen. Ich bin in meinen Pyramidendokumenten umhergegangen und habe den Abstand der schon beseelten Geschöpfe zu meinem eigenen Dokument gemessen. Ich hätte mich leicht in ihre Nähe einordnen oder Kopien oder zumindest Alias-Versionen meiner selbst in ihren Dokumenten ansiedeln können
    – damit aber möglicherweise die Statik der Pyramide und den Sinkvorgang der Schmetterlingsseelen gestört, wenn nicht gar gelöscht … Es half nichts. Ich musste warten auf dieses wunderbare Gas der Schmetterlinge. – Oder sterben. In meinem Dokument EGO sterben. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass ich hier draußen, weiß der Himmel, die Treppe hinunterfiel, das Zeitliche segnete und mein gespeichertes Ich nichts davon mitbekam. Es musste zuerst sterben … Wir gingen zu dritt. Elisabeth und Lucia, die du beide heute Abend kennen lernen wirst, und ich. Wir hatten schon seit langem einer des andern Zimmer nicht betreten, aßen auch nicht mehr gemeinsam, unterhielten uns via Kamera und Monitor, speicherten derart unser Leben zugleich ein, oder trafen uns in den Cyber-Welten, wo es einfacher war, miteinander auszukommen. Wir waren dort im Übrigen auch sexuell viel phantasievoller und ausdauernder als in der ersten Welt. Nicht jeder kann ja dein Glück haben, an einem Nachmittag in Paris eine Frau wie Liliane Delaborde kennen zu lernen … Ich lud die beiden ein zu einem Nachmittagstrip an den Mowango, einen kleinen Nebenfluss des oberen Kongo, wo für Touristen sehr hübsche Bootsfahrten durch die Stromschnellen veranstaltet wurden und vielleicht immer noch werden. Ein wundervoller Ausflug in die feuchte Hitze, den schweren kobaltfarbenen Himmel und das Schöpfungskreischen des Regenwaldes. Ich hatte mir das Dokument vor Jahren aus einer Sendung von NetNews abgezogen und digitalisiert, es ist übrigens Nr. 3002 der Pyramide, die zufällige Aufnahme eines mitfahrenden Videoamateurs, die stark bearbeitet werden musste, mich aber fasziniert hatte, weil darauf zu sehen war, wie das zweite der vier flachen Boote in den Stromschnellen nicht, wie von den Bootsführern erwartet, zwischen den Felsen hindurchgerissen und zur Freude der weißen Insassen beschleunigt worden war, sondern sich unvermutet gedreht hatte, mit dem Heck an einen wasserumtosten Steinbuckel geschlagen und erstaunlich langsam über Steuerbord gekippt war, wodurch sämtliche Touristen und die beiden schwarzen Bootsleute in den reißenden Fluss stürzten und, nun selbst beschleunigt und noch da und dort im Schaum einen Arm, einen Fuß aufwerfend, mit dem Strom davonrauschten in den sicheren Tod. Der Amateur, der die ganze Szene gefilmt und vermutlich teuer an NetNews verkauft hatte, bewahrte, selbst im sicheren dritten oder vierten Boot sitzend, eine ruhige Hand, soweit dies bei Wildwasserfahrten möglich ist, und zoomte geistesgegenwärtig den Davontreibenden und ihren gelegentlich aufwirbelnden Gliedmaßen bis zur äußersten Brennweite nach – was seiner Aufnahme einen eigenen, tragischen Reiz verlieh. Da ich ihnen versprach, dass sie diesmal keinen der für sie langweilig gewordenen Antimagistenüberfälle erleben mussten, stimmten Elisabeth und Lucia gern zu, und ich implantierte uns drei als Passagiere auf eben jenes Boot, von dem ich wusste, dass es kentern würde … Es war ein lächerlich einfaches Verfahren, Copy and Paste. Das Dokument arbeitete uns zuverlässig in den Fluss ein. Wenig später fand Anna uns: mich vor meinem Rechner, Elisabeth und Lucia vor ihren jeweiligen Nebenstellen, alle im Cyber-Vollkörper-Anzug. Natürlich waren wir tot. Gott sei Dank konnte meine Tochter uns nicht sehen. Aber kalt und ohne Atem, wie wir waren, jagten wir ihr auch so einen tiefen Schreck ein. Nun, sie hat’s überwunden. Stieftaal zog uns die Anzüge aus und kleidete uns alltäglich, während die Kamera über meinem Rechner all dies aufnahm und mit meinem EGO verkoppelte. Ich denke noch heute mit großer
    Heiterkeit an den nachher aus Falling gerufenen Arzt, der an
unseren Leichen alle Anzeichen eines Todes durch Ertrinken,
in unseren Lungen jedoch keinen Tropfen Wasser fand und
murmelte, Gott möge unseren armen Seelen gnädig sein …
Nichts besser für das Weiterleben als ein rätselhafter Tod,
nicht wahr?
Die Damen waren anfangs etwas ungehalten, vor allem Lucia, die eine Ausstellung in Mailand vor sich hatte. Aber inzwischen verstehen wir uns wieder wie zuvor. Eigentlich
besser. Irgendwie beseelt.«
    Es war

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