Die Nacht Der Jaegerin
Esoterisches. Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, wozu sich das entwickelt hatte, bis ich vorhin im Dorfladen war. Da haben sich zwei Frauen unterhalten. Ich wusste das mit Ann-Marie zwar, aber ich hatte gedacht, dass einfach wieder irgendein Arzt mit irgendwelchen Untersuchungsergebnissen Scheiß gebaut hat. Mir war überhaupt nicht klar, dass Mom als ... o nein, ich ertrag’s nicht. Und wenn ich es nicht ertragen kann, wie muss
sie
sich dann erst fühlen?»
«Sie sagen, deine Mom wäre eine Heilerin?»
«So sind die Leute eben. Immer wollen sie an ein Wunder glauben. Eine von den Frauen hat gesagt, dass Alice Meek ihren Neffen durch die Gebete der Frau Pfarrer heilen lassen wollte, und da hab ich mir ein kleines Kind vorgestellt. Aber dann taucht Mom mit diesem fetten Schwachkopf auf, dem fast der Sabber runterläuft, wenn er mich anstarrt, und der unter dem Tisch ganz aus Versehen mit seinem Bein an meinem langstreicht. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so absolut ... unkomisch wäre.»
«Und was genau macht sie mit ihm?»
«Wenn sie schlau ist, erklärt sie ihm, dass das mit der Gesundbeterei nichts weiter als abergläubisches Gerede ist. Und dann schlägt sie ihm ein gemeinsames Gebet vor, rät ihm aber davon ab, seinen Inhalierer deshalb gleich in den Fluss zu werfen.»
Eirion dachte nach. Er war Waliser, und dort nahm man Religion noch ziemlich ernst. «Aber sie ist Pfarrerin.»
«Ja ... und?»
«Verstehst du das nicht? Sie muss wenigstens an die
Möglichkeit
eines Wunders glauben. Sie muss akzeptieren, dass Gott theoretisch jederzeit ein Wunder bewirken kann und dass sie eventuell sein Werkzeug sein könnte. Sie kann sich nicht so einfach aus der Affäre ziehen, wenn irgendwer denkt, es wäre ein Wunder möglich. Verstehst du?»
Jane seufzte.
Eirion stand auf und ging zum Fenster. Es hatte angefangen zu schneien, nicht stark, aber von hier oben sah es immer ein bisschen schlimmer aus, ganz besonders in der Abenddämmerung.
«Willst du jetzt wissen, wie diese Videokamera funktioniert, oder was?», fragte Eirion.
Vielleicht hätte Merrily mitbekommen müssen, dass irgendetwas außer Kontrolle geriet. Vielleicht wären ihr auch die vielen Autos aufgefallen, die auf dem Marktplatz parkten, wenn sie nicht die ganze Zeit über Dexter Harris nachgedacht hätte.
Es war mit einem Mal ziemlich kalt geworden, das wenigstens bemerkte Merrily. Sie sah, wie die Schneeflocken durch den Lichtkreis der Pseudogaslampen auf dem Marktplatz trieben. Sie trug Janes Dufflecoat über Jeans und einem Kaschmirpulli, trotzdem prüfte sie, sobald sie in der Kirche war, ob die Heizung auch wirklich voll aufgedreht war.
Eine kurze Meditation gehörte für Merrily inzwischen unverzichtbar zur Vorbereitung des Sonntagabend-Gottesdienstes. Doch dieses Mal wurde sie von Geräuschen aus ihrer Versenkung gerissen. Es war zu viel Bewegung im Raum. Merrily kannte ihre Kirche. Sie kannte die Gemeinde und ihre Geräusche, das Hüsteln und Flüstern war ihr vertraut.
Als sie die Augen aufschlug, war es, als befände sie sich in einer fremden Gemeinde, so viele unbekannte Gesichter hatte sie vor sich. Eine Frau mit einem Baby war darunter, zwei junge Mädchen, und im Mittelgang standen zwei Rollstühle. In einem saß ein etwa elfjähriger Junge und in dem anderen eine Mittfünfzigerin mit einer rotkarierten Decke über den Knien.
Gespannte Stille senkte sich über die Menschen, alle starrten Merrily an, die in ihrem schwarzen Pulli und ihrer Jeans fassungslos vor diesen Menschen stand und sich klein und ohnmächtig fühlte. Und wie eine Betrügerin.
Es schneite so stark, dass Eirion gehen musste. Jane hatte gehofft, er würde es nicht bemerken, bis es zu spät war, dann hätte er nämlich im Pfarrhaus übernachtet, aber er hatte sich wieder das Auto seiner Stiefmutter ausgeliehen und musste es nach Abergavenny zurückbringen.
Jane stand mit Ethel, der Katze, auf dem Arm an der Haustür und sah den Rücklichtern des Autos nach, als Eirion wegfuhr. Sie hatte einen ziemlich großen Teil von Eirions Erklärungen zu der Kamera nicht ganz genau verstanden, aber sie hatte sich Notizen gemacht. Vermutlich sollte sie ein bisschen üben, bevor sie in Stanner filmte. Zu dumm, dass sie Mom nicht um Unterstützung bitten konnte.
Das Christentum war das reinste Minenfeld. Man konnte über Spiritualität sprechen, aber nicht über
Spiritismus
, man konnte es mit geistiger Heilung versuchen, nicht aber mit
Geister
heilung. Wenn sie
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