Die Nacht der Schakale
Abfalleimer legte.
»Oder vielleicht doch, Genosse Konopka.« Obwohl ihnen keiner zuhören konnte – außer sie belauschten sich gegenseitig selbst mit Wanzen –, setzte er leise hinzu: »Den Sperber, tot oder lebendig. Gefesselt und verschnürt. Anruf genügt, und ich schicke Ihnen einen entsprechenden Kofferraum.«
»Nichts leichter als das«, spottete Konopka. »Haben Sie schon mal einen Geist gefangen, Gelbrich?«
»Bisher nur Weingeist«, versetzte der Oberst. »Alsdann: viel Vergnügen, Genosse!« schloß der Stasi-Funktionär das Gespräch und schaute Konopka mit Wolfsaugen nach.
Der Sperber war seit der Geheimbesprechung bei General Lupus ein beliebtes Gesprächsthema im roten Untergrund. Vielleicht handelte es sich nur um ein Gerücht. Womöglich war er aber auch ein Phantom, dem jeder Vorfall untergeschoben wurde, der sich nicht erklären ließ, ähnlich dem ominösen Legationsrat Erster Klasse in Bonn, der, durch die AA-Akten geisternd, sogar befördert worden war, wiewohl es ihn gar nicht gab. Keiner, der das Sperber-Gerücht kolportierte, wußte, daß er General Lupus in die Hände arbeitete, von Gelbrich und Konopka natürlich abgesehen.
Der Wanderer zwischen beiden Welten passierte eine Art Laufgraben. Er trug einen eleganten Maßanzug aus englischem Tuch, garantiert nicht in einem volkseigenen Betrieb gefertigt. Auch der Schnitt war Made in Western Germany. Meistens sah der rote Diplomat älter aus als 45; er konnte aber auch jünger wirken, vor allem, wenn er lächelte. Er hatte ein Plissee-Face mit vielen Falten, die anzeigten, daß er gewohnt war, schnell zu leben: Vier Ehescheidungen, in sieben Jahren ein halbes Dutzend ungewöhnlicher Affären hatten sich wie Keilschriften in sein Gesicht eingetragen. Manche Frauen mochten es, andere taten es als verlebte Fassade ab.
Jedermann kennt seine Liebesabenteuer selbst am besten, aber Konopka gehörte – ebenso wie zum Beispiel Brosam, Gelbrich, Wellershoff, Lemmers, Laqueur, Sabotka, Grewe und Lipsky – zu den wenigen DDR-Bürgern, die ihre im Ministerium für Staatssicherheit geführten Personalakten selbst einsehen konnten.
Irgendwie arbeiten alle Geheimdienste der Welt nach dem gleichen Schema, testen ihre Geheimnisträger auf Sicherheitsrisiken ab.
Eine Tante in Köln oder eine Verflossene in Frankfurt, gelegentlich ein Glas Bier zuviel oder ein zu großer persönlicher Aufwand waren Minuspunkte, aber für die Männer um General Lupus gab es auch einen Malus für Gegebenheiten, die im Westen unerheblich waren. Laqueur zum Beispiel hatte sich anstrengen müssen, seine Hugenotten-Abstammung vergessen zu lassen; auch Brosam entstammte einer großbürgerlichen Familie. Er hatte in Westberlin eine Freundin, bei der er gelegentlich – wie zum Beispiel heute – nächtigte. Daß er in Bettlaune keine Staatsgeheimnisse ausplauderte, wußte man im Osten wie im Westen, denn die Geheimdienste hatten das Schlafzimmer mit Wanzen bestückt und horchten pedantisch mit, wiewohl sie Liebesgestöhn und Orgasmusgekeuche längst langweilten. Es war dem Genossen Kammgarn gleichgültig, denn er galt als unersetzlich; er fürchtete die privaten Nachforschungen seiner gealterten eifersüchtigen Ehefrau mehr als die Wanzen sämtlicher Geheimdienste zusammen.
Lipsky war erst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft über das Nationalkomitee Freies Deutschland – mehr hungrig als freiwillig – zum Kommunisten herangereift, seitdem aber voll in das sozialistische Lager integriert. Gelbrich hatte den Spitzbart ein paarmal verbal angerempelt, aber Ulbricht war schon vor seinem Ableben tot gewesen, und so verwandelte sich die Rüpelei später für Gelbrich sogar noch in einen Bonus.
Konopka erreichte das Ende des Niemandslandes, und der Volkspolizist auf dem Wachturm ließ ihn aus Blick und Visier. Der späte Besucher schritt zügig auf die Willkommensschilder des Freien Berlin zu. Da er öfter durch die Mauer kam und seinen Gegenspielern das Rätsel aufgab, ob er sich nur die Haare schneiden ließ oder seinen V-Leuten Befehle geben wollte (es war ziemlich eindeutig, daß die Ost-Diplomaten mehr oder weniger für ihre Nachrichtendienste arbeiteten), bot für ihn der Westen noch mehr Attraktion als Sensation.
Auf der Neonseite der Stadt hieß der Übergang Prinzenstraße. Der Kontrollbeamte hatte den späten Besucher bereits erkannt, bevor dieser seinen Paß mit der vorschriftsmäßig aufgeschlagenen Lichtbildseite präsentierte.
Achtung, sagte sich der
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